Wer sieht denn hier rot?

Die längsten Wellen schlägt die Farbe Rot. Doch Klinsmanns WM-Elf darf kein rotes Gewinner-Dress tragen

Armer Jürgen Klinsmann – wenn man einer Studie englischer Wissenschaftler glaubt, dann stehen die Chancen der deutschen Nationalmannschaft nicht gut, die Vorrunde bei der WM zu bestehen. Gerade die roten Trikots, mit denen der Bundestrainer seiner Elf mehr Aggressivität und Dynamik verleihen wollte, könnten der Fallstrick sein: Theoretisch gewinnen Sportler im roten Dress häufiger, so die Forscher. Doch nach Vorgabe der Fifa muss das deutsche Team im traditionellen Weiß-Schwarz auflaufen, während zwei der Gegner in Rot antreten werden – im Eröffnungsspiel spielt Costa Rica in rotem Trikot und blauen Hosen, beim Spiel in Dortmund ist Polen sogar komplett in Rot gekleidet.

Rot ist die Farbe der Gewinner – dachte sich wohl auch Bundestrainer Klinsmann, als er seine Spieler in den neuen feurigen Trikots der National-Elf auflaufen ließ. Zwei englische Wissenschaftler der Universität Durham bestätigen diese Annahme: „Ein rotes Dress kann den Ausschlag über Sieg und Niederlage geben“ – wenn sich zwei eigentlich gleichstarke Kontrahenten gegenüber stehen. Die Signalfarbe werde mit Aggressivität und männlicher Dominanz verbunden, schreiben Russell Hill und Robert Barton in ihrer Studie „Rot erhöht die menschliche Leistung in Wettbewerben“. Dabei haben sie sich die Olympischen Spiele 2004 in Athen und auch die Fußball-EM im gleichen Jahr in Portugal näher angeschaut: Fußball-Teams, die bei der Europameisterschaft wechselnde Trikots trugen, schossen im roten Dress mehr Tore.

Psychologie-Professor Hans Irtel von der Uni Mannheim hält die Ergebnisse nicht für unwahrscheinlich: Rot sei kulturübergreifend die Farbe, die den Menschen am meisten in Erregung versetze – so auch das Ergebnis seiner eigenen Studien. Der Experte für Farbwahrnehmung sieht im roten Trikot einen Motivationsvorteil, es könne in der Tat beim Träger für ein Dominanz-Gefühl sorgen: „Wenn ich es mir leisten kann, so eine erregende Farbe zu tragen, dann muss ich besonders stark, muss ich der Beste sein.“ Von dieser Einstellung gehe oft auch der Gegner aus und nehme die Trikot-Farbe als Bedrohung wahr.

Die Gründe für solches Verhalten liegen in unseren Vorstellungen über die Farbe Rot: „Es gibt den Kinderglauben, dass rote Autos schneller fahren“, sagt Professor Rainer Guski. Der Psychologe der Uni Bochum weist aber auf die Wechselwirkungen hin: Sportwagen seien oftmals rot – weil viele Menschen diese Farbe mit Aggressivität und Dynamik verbinden würden.

Gerade diese Assoziationen wollte Klinsmann mit seinem Team bei der Weltmeisterschaft wecken. Doch die Fifa machte einen Strich durch alle farbenfrohen Titelträume. Besonders bitter – wenn man Hill und Barton glauben darf. „Wir müssen mit der Vorgabe der Fifa leben“, sagt ein DFB-Sprecher zur möglicherweise (fatalen) Entscheidung von oben. Und fügt mürrisch hinzu: „Die Spieler müssen Tore schießen – ob in Rot oder Weiß. Alles andere sind reine Spielereien.“

Doch noch ist farb-psychologisch nicht alles aus: Professor Irtel aus Mannheim verweist auf eine amerikanische Fußball-Studie, nach der ein Gegner in Schwarz als besonders aggressiv empfunden werden soll. Mögen Klinsis Kicker im weißen Trikot farbtechnisch auch noch so unschuldig wirken – wenigstens ihre Hosen werden schwarz sein.

SIMON BÜCKLE