Selbstdarstellung als Strategie


AUS ESSEN GESA SCHÖLGENS

Ralph Bruder sitzt in seinem geräumigen Büro und deutet stolz auf ein Modell in einer Ecke des Raumes. Das ist sie, die neue „Zollverein School of Management and Design“ auf dem ehemaligen Zechengelände in Essen. Ein schlichter Kubus mit vielen Fenstern, 134 an der Zahl. „Und, was halten Sie davon?“ fragt der Schulpräsident und strahlt dabei wie ein frisch gebackener Vater, der seinen Erstgeborenen präsentiert. Eine leichte Geburt war es nicht. 1.200 Architekten hatten sich für das Bauprojekt beworben, 35 wurden ausgewählt, 50 Entwürfe wurden geprüft, bis die Wahl auf das Architekturbüro Sanaa aus Tokio fiel. „Ihr Entwurf passt am besten hierher“, ist Bruder überzeugt.

Auf der Baustelle in der Nähe des Weltkulturerbes wird noch kräftig gewerkelt, auch wenn der 5.000 Quadratmeter große Rohbau der Schule bereits steht. Elektriker und Bauarbeiter legen Leitungen und Fußböden, montieren Lampen in die Decken, die in jedem der vier Geschosse unterschiedlich hoch sind. Der nackte Beton verleiht dem Haus ein unfertiges Aussehen. „Die Wände bleiben so, wie sie jetzt sind. Hier wird nicht angestrichen und kein Nagel in die Wand geschlagen“, versichert Bauleiter Philipp Forchheim und schmunzelt. Erstaunte Reaktionen ist der Architekt gewohnt, wenn er Besucher durch das Gebäude führt.

Neues Markenzeichen

Gedämmt wird das Haus mit 30 Grad warmem Grubenwasser, das nur 300 Meter entfernt direkt aus dem Boden hochgepumpt wird. „Ein innovatives Energiekonzept, das nur an diesem Standort funktioniert“, sagt Forchheim, dessen weißer Bauhelm nicht so recht zu seinem schicken Sakko passt. Zerbrechlich, transparent und mächtig zugleich solle die neue Schule wirken. Deswegen sind die Wände nur 30 Zentimeter dünn.

10,6 Millionen Euro wird der Bau alles in allem kosten. „Die School wird ein neues Markenzeichen von Essen“, prophezeit Bruder. Auch wenn sich Kritiker an der 34 Meter hohen Fassade aus Sichtbeton stören und Denkmalschützer Neubauten auf Zollverein ablehnen. „Die Diskussion war aber positiv. Die Leute haben inzwischen gemerkt, dass respektvoll mit dem Weltkulturerbe umgegangen wird.“ Zollverein sei kein totes Arsenal. „Auf einer sterbenden Branche wächst etwas Neues, Lebendiges“, schwärmt der 42-Jährige, der auch Geschäftsführer ist.

Lebendig wird das Gebäude aber erst, wenn die Studierenden einziehen. Das schlichte Foyer im Erdgeschoss ist im Moment noch ungemütlich. Werkzeug und Kabel liegen auf dem Boden verstreut. Quadratische Fenster unterschiedlicher Größe lassen viel Licht hinein. Es gibt aber auch dunklere Ecken auf jeder Etage. „Jeder soll seinen Arbeitsplatz nach seinen Bedürfnissen wählen können“, erklärt Bruder. Über dem Foyer befindet sich das doppelstöckige Studio, ein bewusst offen gehaltener Arbeitsbereich. Darüber die Bibliothek mit Computerarbeitsplätzen und Seminarräumen, im dritten Stock gläserne Büros und die Verwaltung, ganz oben der Dachgarten, in den es auch hineinregnen darf, wie Architekt Forchheim versichert.

Im Laufe diesen Monats wird der Bauherr, die Entwicklungsgesellschaft Zollverein, die Schlüssel an die Zollverein School übergeben, spätestens im Juli ziehen die Studierenden aus den Bereichen Wirtschaft, Architektur und Design ein. „Sie sollen von einander profitieren, sich austauschen und neue Ideen für die Unternehmensführung entwickeln“, sagt Bruder. Dabei geht es nicht um Design im herkömmlichen Sinne. „Die meisten denken bei diesem Begriff an Produktentwicklung oder Erzeugnisse, etwa an schicke, exklusive und teure Autos. Es geht darum, etwas nach außen hin darzustellen, um Selbstverständnis und Kommunikation“, erläutert Bruder.

Eben das sollen Unternehmen für sich nutzen, um ihr Image zu verbessern. „Auch jeder von uns wählt ja eine eigene Art der Selbstpräsentation, wenn er sich morgens vor den Spiegel stellt.“ Den Unternehmen werde immer stärker bewusst, wie wichtig solch ein eigenes Profil sei. Der Präsident nimmt eine kleine Flasche Apfelsaft vom Tisch. „Wie schaffe ich es, dieses Produkt glaubhaft und vertretbar mit dem Unternehmen zu verbinden, und mein Versprechen auch einzuhalten?“

Wie das funktioniert, interessiert auch Anja Soeder, Norwin Kandera und Martin Mangold. Typische Studenten sind die drei nicht. Das zeigen ihre gut sitzenden Anzüge und die akkuraten Visitenkarten. Neben ihren Jobs besuchen sie seit einem Jahr die Zollverein School, um nach zwei Semestern den Abschluss Master of Business Administration zu erlangen. „Was ich hier lerne, kann ich direkt anwenden“, sagt Mangold, der die Marketingabteilung einer international tätigen Automobilzulieferfirma leitet.

Teuer und zeitaufwändig

In einer Hausarbeit hat sich der 35-Jährige kürzlich mit Dramaturgie beschäftigt und ihre Regeln auf die Strukturen seiner Firma übertragen. „Beim Standort in Südamerika sind die Rollen anders verteilt als in Polen. Andere Schauspieler, eine andere Bühne, eine andere Dramaturgie“, beschreibt Mangold. Als er der Geschäftsführung seine Ergebnisse zeigte, waren die Chefs zunächst skeptisch. „Aber dann hat meine Arbeit einen Denkprozess angestoßen und geholfen, den Berufsalltag aus einer anderen Perspektive und weniger abstrakt zu sehen“, erzählt Mangold.

Trotz einiger Anlaufschwierigkeiten des einzigartigen Studiengangs loben die drei Kommilitonen ihr Studium. „Es ist für mich als Gestalterin eine große Herausforderung, mich mit Denkstrukturen und Handlungsweisen in unternehmerischen Prozessen auseinander zu setzen“, sagt Anja Soeder. Sogar die Vorlesungen hielten zwei Professoren aus unterschiedlichen Fachrichtungen zusammen, erzählt die 35-jährige Architektin. „Wir wurden außerdem aktiv am Aufbau und Konzept des Studiengangs beteiligt“, ergänzt Norwin Kandera.

Jeder der „Pioniere“ habe inzwischen ein eigenes Verständnis von Design bekommen. „Wir haben eine neue Denkweise entwickelt und profitieren davon, auch wenn das Berufsprofil nicht klar definiert ist“, sagt der 40-Jährige Kandera. Einziger Wehmutstropfen: die Kosten und der große Zeitaufwand für das Studium. „Das habe ich unterschätzt“, gesteht Mangold. Momentan zahlen die Studenten 22.000 Euro für das gesamte Studium.

Design als Strategie. Die Schule lädt auch Unternehmer ein, die dies leben und mit den Studierenden umsetzbare Konzepte entwickeln. „In der momentanen Wirtschaftskrise wollen sie natürlich Ideen, die sie über die nächsten zehn Jahre retten“, sagt Bruder mit ernster Miene. Nicht alle Firmen sehen aber einen Sinn in den Ansätzen der Schule. „Design ist noch nicht gängig in der Wirtschaft, vor allem nicht bei den großen Firmen.“ Bruder nennt als Beispiel die Automobilbranche. „VW oder Ford assoziiert man zurzeit leider weniger mit einem eigenen Design, sondern eher mit Arbeitsplatzabbau.“

Das nächste größere Ereignis wird die Design Weltmesse „Entry“ im August sein, an deren Rahmenprogramm sich die Schule beteiligen will. Auch ein internationaler Zweig des Studiums ist geplant. Ralph Bruder selbst will im Laufe des Sommers seinen Hut nehmen, sobald ein Nachfolger für ihn gefunden ist. „Einen kopflosen Zustand oder einen Bruch wird es aber nicht geben“, verspricht der Präsident.

Weiterhin ist man auf der Suche nach finanzkräftigen Sponsoren, die sich längerfristig an die Schule binden und Stipendien finanzieren. Eine Public Private Partnership ist das Ziel, denn im nächsten Jahr läuft die Anschubfinanzierung von Land, Stadt und EU aus. „Das attraktive Gebäude wird uns dabei helfen, da es unsere Ideen tranportiert“, ist Bruder überzeugt.