: Drei Mythen über Hartz IV
Immer wieder gern verbreitet, auch wenn sie nicht zutreffen: Irrtümer zum Arbeitslosengeld II
Mythos 1: Die Sozialleistung in Deutschland ist im Vergleich zu anderen Ländern zu hoch. „In Großbritannien und den USA z. B. liegt das Fürsorgeniveau deutlich niedriger“ (Spiegel, 29. 5. 2006). Die Wirklichkeit: Großbritannien hat Deutschland bei der Stütze für Langzeiterwerbslose überflügelt. In England liegt die so genannte income-based jobseeker allowance für Alleinstehende derzeit bei 57,45 Pfund pro Woche. Dies entspricht einem monatlichen Regelsatz von knapp 360 Euro. In Deutschland gelten 345 Euro. Hinzu kommt auch in Großbritannien die Übernahme der Mietkosten („Housing benefits“) für Langzeiterwerbslose. Übrigens, in Großbritannien gibt es auch einen Mindestlohn von 7,34 Euro die Stunde, Er soll im Oktober auf 7,80 Euro erhöht werden.
Mythos 2: Der Regelsatz ist zu hoch, denn mit Hartz IV bekommen manche Menschen mehr Geld, als sie mit Arbeit verdienen würden. „Wer arbeitet, muss mehr haben als der, der nicht arbeitet“ (Bundeskanzlerin Angela Merkel). Die Wirklichkeit: Schon heute haben selbst schlecht verdienende Erwerbstätige mehr in der Tasche als Hartz-IV-Empfänger. Denn Kleinverdiener bekommen aufstockendes Arbeitslosengeld II und stehen sich wegen der Freibeträge besser als Nichterwerbstätige. Allerdings gab es Fehler im Konzept des so genannten Kinderzuschlages für gering verdienende Familien. Diese sollen jetzt ausgemerzt werden.
Der Regelsatz ist heute nicht höher als die Leistungen in der früheren Sozialhilfe. Aber die Verdienststruktur in Deutschland hat sich verändert, auch durch eine verfehlte Arbeitsmarktpolitik. Ein Beispiel: Heute gelten für abgabenfreie 400-Euro-Jobs keine Stundenbegrenzungen mehr. Die Folge: Im Einzelhandel ackern inzwischen auch Halbtagskräfte als 400-Euro-Jobberinnen zum Niedriglohn.
Mythos 3: Immer mehr Leute beziehen Hartz IV, weil das Arbeitslosengeld II zum Missbrauch einlädt. „Der Missbrauch muss weiter eingedämmt werden“ (Baden-Württembergs CDU-Ministerpräsident Günther Oettinger). Die Wirklichkeit: Nach telefonischen Befragungen und aufgrund von neuesten Datenabgleichen mit der Rentenversicherung hat die Bundesagentur für Arbeit 26 Millionen Euro zu viel gewährtes Arbeitslosengeld II entdeckt. Das sind gerade einmal 0,4 Prozent der im ersten Quartal 2006 ausgezahlten Summe. Die Bundesagentur schätzt die „Missbrauchsquote“ auf fünf bis sechs Prozent der EmpfängerInnen, wobei sich laut Agentur darunter aber auch Leute befinden, die sich bei Jobaufnahme nicht rechtzeitig abgemeldet haben.
Zum Vergleich: Der Umfang der gesamten Schattenwirtschaft aller Menschen in Deutschland inklusive Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit wird auf 15 Prozent des Bruttoinlandsproduktes geschätzt. SPD-Finanzminister Hans Eichel hatte während seiner Amtszeit vergeblich versucht, wenigstens 5 Milliarden Euro an hinterzogenen Kapitalsteuern auf im Ausland deponiertes Geld wohlhabender deutscher Anleger zurückzuholen. BARBARA DRIBBUSCH
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