MIKROZENSUS 2005: ZAHLEN FÜR RICHTIGE UND FALSCHE ANLIEGEN
: Belastbare dicke Kinder

Grundsätzlich ist es ein Fortschritt, dass Politiker zur Untermauerung ihrer Argumente zunehmend Statistiken bemühen. Auf diese Weise gewinnt das Publikum den Eindruck, dass es in der Politik auch um die Wirklichkeit geht. Jahrzehntelang reichte es zum Beispiel aus zu behaupten, Deutschland sei kein Einwanderungsland, um den hiesigen Ausländern die Integrationschancen zu verweigern. Erst in jüngerer Zeit hat ein Blick auf die Zahlen die Innenpolitiker nachdenklicher gestimmt. Der gestern vorgelegte Mikrozensus 2005 liefert nun die schöne amtliche Größe „ein Fünftel“: ein Fünftel der Bevölkerung ist nichtdeutscher Herkunft. Da wird die Verweigerung langsam schwierig.

Das Problem mit den Zahlen ist allerdings: Sie werden zu politischen Zwecken immer aus dem Zusammenhang gerissen. Niemals wird erklärt, wo sie herkommen. So kommt es zu folgenreichen Missverständnissen: Etwa wird an der Kinderlosigkeit von Akademikerinnen in Deutschland mit der Zahl „40 Prozent!“ herumdramatisiert. Dabei hat das Statistische Bundesamt doch bloß die westdeutschen 35- bis 39-jährigen Frauen mit Uni-Abschluss gefragt, und die auch nur nach den Kindern im Haushalt – nicht etwa nach den geborenen Kindern. Dies führte zur in der Tat dramatischen Überschätzung der studierten Kinderlosigkeit.

Und es hilft ja nichts: Selbst wenn die Wiesbadener Bevölkerungsvermesser gestern noch darauf hinwiesen, dass zum Beispiel 24 Prozent der Befragten keine Auskunft zu ihrem Gewicht geben mochten, so werden die jüngsten Bundesamt-Daten zum Übergewicht in Deutschland sich jetzt erst einmal als „glaubwürdig“ und „belastbar“ festsetzen. Dabei waren es bestimmt nicht die schlankeren 24 Prozent, die nichts sagen wollten.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Zahlen, die in Talkshows und in Leitartikeln auftauchen, entweder falsch, schief oder irreführend sind. Immerhin aber lassen sich dann bessere, vollständigere Daten ausgraben, um sie zu widerlegen. Die richtigste, sauberste, unschuldigste Zahl aber, die wird es niemals geben. Nicht einmal vom Statistischen Bundesamt. ULRIKE WINKELMANN