500 Prominente auf der schwarzen Liste der Islamisten

TUNESIEN Mit einem „Schwarzbuch“ prangert die Regierung Exunterstützer des alten Regimes an

MADRID taz | Tunesiens Übergangspräsident Moncef Marzouki hat ein „Schwarzbuch“ veröffentlicht mit dem Titel „Das Propagandasystem unter Ben Ali“. Auf 354 Seiten enthält es 500 Namen von Journalisten, Künstlern, Sportlern, Politikern, Geschäftsleuten und selbst von zwei ehemaligen britischen Diplomaten – darunter der heutige Justizminister Lord Tom McNelly –, die das System des 2011 gestürzten Diktators unterstützt haben sollen. Das Buch soll in nur zwei Wochen rund 300.000-mal aus dem Internet heruntergeladen worden sein. Marzouki, so seine Pressestelle, wolle mit dem Buch endlich „Transparenz“ schaffen.

Die Initiative des Staatspräsidenten wird von der Opposition egal welcher Couleur und heftig kritisiert. „Ben Ali hat zweimal versucht, mich umbringen zu lassen. Die französische Staatssicherheit hat mich davor beschützt“, beschwert sich zum Beispiel der ehemalige Staatssekretär Ahmed Bennour. Er stellte sich ab 1984 gegen Ben Ali und floh 1986 nach Frankreich.

Auch in der Sportwelt herrscht Aufregung. Der historische Hauptstadtklub Espérance Sportive de Tunis, der einst unter der französischen Kolonialzeit die arabische Bevölkerung um sich scharrte, wird im Schwarzbuch als einziger Fußballverein angeprangert. „EST war nicht der einzige Club, der das alte Regime unterstützte“, verteidigt sich der ehemalige Vereinschef Slim Chiboub. „Die Vorsitzenden hatten keine andere Wahl“, fügt Chiboub hinzu. Er selbst verließ den Vorstand, als er sich dem Druck der Diktatorenfamilie nicht mehr gewachsen sah. Am Wochenende sagte das Innenministerium das Ligaspiel des EST aus Furcht vor Protesten der Fans ab.

Vielstimmige Kritik

Die Journalistengewerkschaft (SNJT) und das Zentrum für Pressefreiheit (CTLP) sehen in der schwarzen Liste einen Rachefeldzug gegen die Presse, die seit Monaten Regierung und Präsidenten scharf kritisieren. Für den Sprecher der linken Volksfront Hamma Hammadi handelt es sich bei „dieser Veröffentlichung um eine politische Abrechnung.“ Er fordert eine Aufarbeitung der Archive durch unabhängige Spezialisten. Selbst der Justizminister schließt sich dem an.

„Der Präsident der Republik hat kein Recht, ein solches Buch zu veröffentlichen“, erklärt auch der Vorsitzende der größten Oppositionspartei Nidaa Tounes, Caïd Essebsi. Er sieht im Schwarzbuch ein Manöver, um davon abzulenken, dass der Nationale Dialog blockiert ist, bei dem sich die Parteien bis Samstag auf eine Technokratenregierung einigen sollen. REINER WANDLER