Vermurkste PR-Aktion: Shell geht baden

LOBBY Eine Gruppe Berliner Aktivisten schmuggelt sich auf einen „Science Slam“ des Konzerns

„Hier kann man den Stecker ziehen, in der Arktis nicht“

JEAN PETERS, POLITAKTIVIST

BERLIN taz | Mittwochabend, Shell lädt akademischen Nachwuchs ins Berliner Tempodrom zum „Science Slam“. Ein hippes Format mit Underground-Flair, in dem Studenten und junge Wissenschaftler in zehnminütigen Vorträgen spritzige Ideen, Theorien oder Erfindungen für eine bessere Welt möglichst lustig präsentieren. Rund 200 Zuschauer sind da.

Mit dabei und als letzter von sechs Beiträgen gesetzt ist ein Team um den Studenten Paul von Ribbeck mit folgender Idee: ein Benzinauto, ausgestattet mit einem neuartigen Katalysator, der das klimaschädliche CO2 an Bord aus den Abgasen filtert. Einen Prototypen des Reinigungssystems haben sie gleich mitgebracht: einen rollbaren Kasten, aus dem Schläuche führen. Ein Fake. Paul von Ribbeck heißt Jean Peters, er ist Politikaktivist und früherer taz-Kolumnist.

Es ist nicht der einzige Protest. Noch bevor Ex-MTV- und heute ZDF-Kultur-Moderator Markus Kavka das Wort ergreift, steht ein Rapper auf und singt von Bohrungen in der Arktis und dem ölverseuchten Nigerdelta, in dem auch Shell fördert. Alles noch nach Plan, der hat sich bei den Veranstaltern angekündigt. Shell will ja kritisch diskutieren, erträgt die Gegner, so die Linie.

Im ersten Vortrag geht es ernsthaft um mehr Pflanzen in Städten, doch auch hier: ein Haufen Anspielungen gegen Shell. Der Slammer zeigt Bilder von Snowboardern im Wüstensand und wünscht sich einen schnelleren Klimawandel. Auch der nächste Beitrag ist nur ein Vehikel für unverhohlene Kritik: Student Ian aus England erzählt was von Windmühlen und Batterien, am Ende ist eine Zitrone zu sehen, und er verliest ein Manifest gegen Mineralölkonzerne.

Kavka nimmt es noch gelassen, die Jury klatscht gequält, freut sich danach über ernsthafte Vorträge, bis Peters alias von Ribbeck seine Maschine präsentiert. „Wir wollen das Auto der Zukunft bauen“, sagt er und erzählt, wie er im Suff die Idee hatte.

Dann will er das Wunder präsentieren und drückt auf einen Knopf an seinem Gerät. Das Ding rattert, erst hebt sich der Deckel, etwas quillt heraus. Peters bekommt scheinbar Panik, eine Fontäne einer braun-schwarzen Flüssigkeit schießt empor – Lebensmittelfarbe mit Wasser.

Peters und sein Gehilfe sehen schnell aus wie zwei Ölbarone nach einer erfolgreichen Bohrung. Im Saal brandet Jubel auf, ein paar versuchen dagegen anzubuhen. Peters zieht den Stecker und hält triefend eine Rede. „Hier kann man den Stecker ziehen, in der Arktis nicht“, sagt er. Tumult, einer der Science Slammer schnappt sich ein Mikro und verteidigt Shell, einer aus dem Publikum brüllt zurück, man solle den Konzern zerschlagen, Kavka bricht ohne Siegerehrung ab.

Shell sagt, der Science Slam sei nicht als PR, sondern als Plattform für junge Wissenschaftler gedacht. „Wir wollen den Dialog und respektieren andere Meinungen. Diese Aktion war dem Dialog aber nicht zuträglich“, sagte eine Sprecherin.

Dialog? Den Kritikern geht es nicht nur um Widerstand gegen den Ölmulti, sondern auch um die Art des Protests: Umweltverbände ließen sich mittlerweile auf zu viele Kompromisse mit Konzernen wie Shell ein. „Wer von einem radikalen Wandel spricht, wird nicht mehr ernst genommen“, kritisiert Peters.

ALFRED ARZT