die taz vor 8 jahren über eine lesenswerte anthologie islamischer intellektueller
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Der Westen glaubt zu wissen: Die arabisch-islamische Welt, das ist eine Ansammlung rückständiger, intoleranter und totalitärer Systeme. Auch arabische Autoren sind nicht weit von dieser Sichtweise entfernt. „Im modernen Orient herrscht ein Klima ständiger Alpträume“, lautet die Bestandsaufnahme der in Paris lebenden tunesischen Historikerin Hélé Béji. Béji ist eine von einem Dutzend arabischen Denkerinnen und Denkern, deren lesenswerte Ansichten zum Spannungsfeld Islam und Moderne in einem Band gesammelt sind. Der Westen, das bedeutet einen großen Vorsprung im Bereich der Wissenschaft, der Technik und der politisch-gesellschaftlichen Kultur, dem die arabische Welt zu Beginn des 19. Jahrhunderts schockartig begegnete, den sie seitdem aufzuholen versucht. Solange die arabischen Machthaber nur die materiellen Aspekte der Modernität wahrnehmen, nicht aber deren Grundlagen wie individuelle Freiheitsrechte, Selbstkritik, Rationalität und die Trennung von Religion und Gesellschaft, wird sich daran wenig ändern.

Für Béji deutet aktuell wenig auf eine Reformfähigkeit der arabisch-islamischen Welt hin. Für sie haben die arabischen Machthaber die Verheißungen der Unabhängigkeitsbewegungen und nationalen Befreiung zu einer perversen Karikatur entstellt: „Die Identität trat an die Stelle der Freiheit, die Partei an die Stelle der bürgerlichen Souveränität, die Miliz an die Stelle des Gewissens, der Militarismus an die Stelle des Staatsbürgergeistes, der Staat an die Stelle des Rechtes, die Diktatur an die Stelle der Republik.“ Die Existenz des arabischen Bürgers als Citoyen, so Béji, sei auf ihren bescheidensten Ausdruck reduziert, die Fähigkeit zur biologischen Reproduktion, die armselige Freiheit, eine Familie zu gründen.

Das alles klingt recht gemein, ist aber das zentrale Thema der Autoren, die in der Anthologie von Erdmute Heller und Hassouna Mosbahi „Islam, Demokratie, Moderne“ vertreten sind.

Eberhard Seidel, 9. 6. 1988