Brülle Wörter aus Metall

POESIE Unterwasser-Dixieland und wütende Dichter: Das gut besuchte Poesiefestival konzentriert sich auf den Mittelmeerraum

Wer kennt es nicht: dieses Gefühl, wider besseren Wissens bei herrlichem Sommerwetter zu früh auf einer Veranstaltung aufgekreuzt zu sein? Auf dem Poesiefestival kann einem so etwas zum Glück nicht passieren, weil es in der Akademie der Künste am Hanseatenweg schlichtweg immer etwas zu tun gibt.

Während man auf den Beginn einer Lesung wartet, kann man sich nämlich eine der vielen Ausstellungen anschauen. Eine trägt den Namen „Thalassa/Meer“. In ihr werden die fotografischen Arbeiten dreier zyprischer Künstler gezeigt. In den reduziert-kontemplativen Bildern von Andros Efstathiou etwa wird geschickt mit Wiederholung und Variation gespielt: Meer trifft Horizont, das ist die Konstante in all seinen Fotografien, doch aufgrund der Variablen – Höhe der Horizontlinie, Lichtverhältnisse, Textur der See – ist das Resultat jeweils höchst unterschiedlich.

Derart eingestimmt auf das diesjährige Schwerpunktthema, den Mittelmeerraum, konnte man sich am Montagabend eine Lesung griechischer Lyriker anhören, die schon aufgrund ihrer stilistischen Vielfalt interessant zu werden versprach. Während die Texte der jungen Archäologin und Dichterin Dimitra Kotoula eine subjektivierte Innerlichkeit reflektierten – „Dünne Haut breitet sich über meine Zunge (…) / Mein Herz / weit starrend / willenlos“ –, waren die Gedichte des 1928 in Athen geborenen Titos Patrikios überwiegend narrativ. In „Das Haus“ erzählt Patrikios die Geschichte seiner Kindheit und Jugend, deren frühes Glück zusehends von Krieg und Gefangenschaft überschattet wird: „Von einem Balkon unseres Hauses / sah ich wie Piräus bombardiert wurde“.

Angry young man aus Griechenland

Mit Jazra Khaleed trat dann schließlich noch ein Autor auf, der nahezu perfekt dem Bild des vom Kollaps des griechischen Staats angepissten „angry young man“ entsprach: „Brülle / Wörter aus Metall / Wörter aus Blitzen“, heißt es in „Outro“. Und was Khaleed da an rhythmisierten, nuancenreichen Wortkaskaden über die Zuhörer ausschüttete, war ebenso martialisch wie aktuell.

Die im Anschluss stattfindende „e.poesie“ folgte dem Crossover-Gedanken des Poesiefestivals. Marcelo Toledos Komposition „Logomaquia“ etwa, die auf einem Text der rumänischen Dichterin Nora Iuga basiert, klang wie unter Wasser gespielte Dixieland-Musik: Seltsame Samples, klickende Percussion und bald immer aberwitziger Noiseattacken aufeinander türmende Bläser sorgten für ein beeindruckendes Hörerlebnis. Nicht minder beeindruckend war die Komposition „tresse-ébresztés“ des Franzosen Frédéric Pattar. In seinem Stück für Stimme, Gitarre und Cello näherten sich Sprache – das Ungarische – und Musik einander an, überkreuzten und spiegelten einander.

In der „Versschmuggel“-Reihe am Dienstagabend stellten je vier deutsche und italienische Autoren eigene Gedichte sowie ihre Übertragungen aus der einen Sprache in die andere vor. Das Schöne an dieser Reihe ist ja, dass die Dichter in Paaren auftreten, was zu höchst interessanten Verbindungen führen kann. Etwa zu der zwischen den beiden Poetry Slammern Bas Böttcher und Sara Ventroni, deren halsbrecherische Zungenakrobatik das Publikum immer wieder zu Begeisterungsstürmen hinriss. Dramaturgisch gut funktionierte auch die Verbindung zwischen der temperamentvollen Elisa Biagini und dem zum monotonen Leiern neigenden Dieter M. Gräf: Es war schlichtweg die größtmögliche Diskrepanz zweier Sprechweisen. Den Skurrilitätspreis für das diesjährige Odd-Couple gewannen jedoch eindeutig der Anzug tragende italienische Feingeist Nanni Balestrini und der Prenzlauer-Berg-Poet, Kaffee-Burger-Betreiber Bert Papenfuß, aus dessen Feder der wohl eingängigste Refrain des diesjährigen Poesiefestivals stammt: „Algen an den Galgen / Tiere an die Geschirre / aber Menschen, Menschen in die Convention“. ANDREAS RESCH

■  Poesiefestival, bis 12. Juni, www.literaturwerkstatt.org