Hinterm Tor, aber drin

Eintrittskarten-Stress: Für Plätze, die während der Bundesligasaison zu Niedrigpreisen verkauft werden, sind bei der WM Luxuspreise angesagt. Die Fans wehren sich, die Fifa mauert

Von Niels Müller

Wolfgang Bokern aus Vechta ist einer der Glücklichen, die Tickets für die Weltmeisterschaft besitzen. Die Freude bei ihm und seiner Familie war nach der Zusage groß. Das Geld wurde prompt abgebucht. Als die Tickets für ein Spiel in Dortmund ein Jahr nach der Bezahlung eintrafen, wich die Vorfreude bald der Ernüchterung: Die Sitze sind hinter einem der Tore. Dabei hatte Wolfgang Bokern doch Karten der Kategorie 2 bestellt. Diese grenzt laut Beschreibung der Fifa-Homepage „in der Regel an Kategorie 1“ und befindet sich laut einer Skizze in den Ecken der Arenen. Wolfgang Bokern beschwerte sich.

Doch worüber genau? Zum einen darüber, dass die Fifa keine genauen Angaben zur Lage der Plätze in den einzelnen Stadien machte. So hätten Zuschauer nicht erschließen können, wo ihre Plätze sind. Zum anderen darüber, dass die Plätze in einem Bereich liegen, der bei Bundesligaspielen zu den günstigsten gehört. Bei der WM sind es die zweitteuersten. Folge: Bei Fans entsteht der Eindruck, die Fifa verkaufe „natürlich am liebsten möglichst viele von den teuersten Karten“. Beschwerden wie diese finden sich auf www.sta dionwelt.de zuhauf. Betroffene wie Wolfgang Bokern wandten sich direkt nach Erhalt der Karten an die Fifa und verlangten den Umtausch. Die Fifa antwortete meist per Mail ganz schlicht, dass die Tickets der gewünschten Preisstufe entsprächen. Das Schaubild im Internet zeige lediglich ungefähr, wo die Plätze liegen. Konsequenz: Fans behalten die teuren Kategorie-2-Tickets und gehen ins Stadion. Zu groß ist die Freude, überhaupt dabei zu sein. Zu gering die Wahrscheinlichkeit, mit rechtlichen Schritten Erfolg zu haben.

Für andere Fußballfreunde herrscht in der Frage, ob sie ein Spiel sehen können, noch Ungewissheit. Viele haben Karten, die nicht personalisiert sind. Sponsoren haben solche Tickets verteilt, die wiederum auf den Schwarzmärkten landeten. Für das Vielfache des normalen Kaufpreises haben sich Fans mit diesen Karten eingedeckt. Für Volker Goll von der Koordinationsstelle Fanprojekte (KoF) ist es „eine der spannendsten Fragen der Weltmeisterschaft“, was passiert, wenn Fans mit nichtpersonalisierten Tickets vor dem Stadioneingang stehen. Goll, der mit der KoF für das Organisationskomitee die Seite www.fan guide2006.org zu Fanfragen betreut, weiß aber „keine Antwort auf diese Frage“. Es erscheint jedoch beinahe unmöglich, dass niemand mit einem Ticket ohne persönliche Daten in ein Stadion kommt.

Nicht unmöglich ist es hingegen, Tickets auf der Straße zu finden. In Frankfurt entdeckte ein Mann 800 Tickets in einer Tüte, die aus dem Kontingent südeuropäischer Fernsehsender stammen und vor wenigen Tagen gestohlen wurden. Der Finder gab die Tüte, die auch Tickets für das Endspiel in Berlin enthielt, an den DFB weiter.

Um mit Karten von Verwandten oder Bekannten zu einer Partie gehen zu können, sollten Interessenten möglichst zeitig an einem der in den WM-Städten errichteten „Stadium Ticket Center“ erscheinen. Bis zu drei Stunden stehen dort Menschen in der Warteschlange, auch solche, die kurzfristig von der Fifa darüber informiert wurden, dass sie ihre Plätze wegen Bauarbeiten nicht werden einnehmen können und neue Tickets erhalten. Eine Stellungnahme der Fifa war zu dem Thema gestern nicht zu bekommen.

Unterstützung erhalten die WM-Zuschauer von prominenter Stelle. Seine Karten hat Uli Hoeneß mit Sicherheit frühzeitig bekommen. Dennoch ist es mehr als eine symbolische Geste, dass sich der Bayern-Manager in den vergangenen Tagen auf die Seite der gebeutelten Fußballfans gestellt hat. Das Ticketsystem der Fifa mache „auf Dauer den Fußball kaputt“, schimpfte Hoeneß, der außerdem bemerkte: „Fußball ist eine Sache für den kleinen Mann.“ Dem haben die Tickets, so er welche besitzt, diesmal nicht nur Freude bereitet.