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Leben, Liebe, Leoparden

FILM Das Arsenal feiert Howard Hawks, Allroundtalent des amerikanischen Autorenfilms, mit einer Retrospektive. Seine Piloten, Cowboys und toughen Ladys sind längst Legende

VON HELMUT MERKER

Er gilt als „Quintessenz des klassischen Kinos amerikanischer Prägung“, und wer da seine Vorurteile gegen Hollywood ins Feld führt, möge sich vom französischen Regisseur Éric Rohmer die Augen öffnen lassen, der schlicht feststellte: „Ihn muss man lieben, wenn man das Kino lieben will.“

Ein Meister aller Klassen, ein Spezialist in allen Genres, so alt wie das Kino selbst. Er war Flieger im Ersten Weltkrieg, konstruierte Flugzeuge, fuhr Autorennen, folglich machte er später Flieger- und Rennfahrer-Filme. Er fischte und drehte einen Anglerfilm. Bei einem Ausflug schloss er mit seinem Freund Hemingway die Wette ab, dass er aus dessen schlechtestem Roman immer noch einen guten Film machen könne. Sie einigten sich auf „To Have and Have Not“, der spielt inzwischen in der Literaturgeschichte keine Rolle mehr, in der Filmgeschichte gehört er zum Pantheon der Meisterwerke.

Howard Hawks ist in dreifacher Hinsicht Autorenfilmer: Er arbeitete an den meisten seiner Drehbücher mit, er behielt als sein eigener Produzent bis zur Endfassung der Filme alles in eigener Hand, und er erzählte Geschichten, in die er selbst auch hineinpassen würde. Seine Großwildjäger, Piloten, Soldaten, Sheriffs, Cowboys, Seeleute, Detektive sind moderne Ritter der Tafelrunde und leben in einer Welt mit eigenen Gesetzen. Abenteuer, das ist ihre Arbeit, Gefahren, die sind zu meistern, ein Profi ist einer, der sein Handwerk so gut wie möglich erledigt. Ihr Stolz ist Gründlichkeit, Integrität, Perfektion. Die Basis: Männerfreundschaft in einem Team von Einzelgängern, die einander vertrauen und sich aufeinander verlassen können.

Hawks’ eigene Qualitäten wirken so unaufdringlich wie die seiner Figuren. Seinen klassischen Stil erklärte er einmal so: „Sternberg gibt kleinen Dingen viel Bedeutung, ich nehme ein großes Ereignis und spiele es herunter.“ Manierierte Kameraeinstellungen, extreme Blickwinkel, verstörende Perspektiven sind seine Sache nicht. Er konzipiert Filme wie ein Ingenieur seine Motoren, ohne Schnörkel, ohne Tricks. Das schließt eindrucksvolle Bilderfindungen nicht aus: wie etwa in „Red River“ der Schwenk über die Rinderherde beim Aufbruch zum Treck von Texas nach Missouri, einem monumentalen Unternehmen zwischen Wagnis und Hoffnung.

In „Scarface“ setzt Boris Karloff in der Bowlinghalle eine Kugel in Bewegung, Schüsse ertönen, seine Figur knickt ein, die Kamera schwenkt weiter und folgt der Kugel auf der Bahn, die alle Kegel, bis auf einen, abräumt, dieser letzte bleibt stehen, wackelt, kreiselt um sich selbst, taumelt, fällt. Das Spiel ist aus, und man weiß: Karloff liegt tot am Boden. Nie ist ein Blutbad zu sehen im gewalttätigsten aller Gangsterfilme. Man erschrickt nicht darüber, was der psychopathische Killer tut, sondern wie funktional und reibungslos er sein Geschäft betreibt: Mord als Fließbandproduktion.

In „Only Angels Have Wings“ sagt der Pilot „Kid“ bei einer tödlichen Bruchlandung: „Mir ist so komisch.“ Und Cary Grant („Geoff“) erwidert seinem Freund: „Du hast dir das Genick gebrochen.“ Auch wenn es um Leben oder Tod geht, wird nicht viel Aufhebens davon gemacht. Für Samuel Fuller ist das Kino ein Schlachtfeld, für Hawks eher ein Sportplatz mit dem Kräftemessen, wer was am besten kann. Dabei wird der Respekt vor dem Gegner gewahrt wie zwischen den englischen und deutschen Piloten in „Dawn Patrol“.

Am Ende von „The Big Sky“ erhebt sich der junge Pelztierhändler und wirft den Skalp jenes Indianers ins Lagerfeuer, der einst seinen Bruder getötet hat. Dieses Zeichen seiner Rache hat er die ganze Reise den Missouri entlang mit sich getragen. Nun spüren die Zuschauer die Veränderung in ihm. Ohne ein Wort ist klar, dass er seinen Haß gegen die Indianer überwunden hat.

Haltung sticht Handlung

Konkrete Gesten und Eigenarten sind charakteristischer als abstrakte innere Motive. Physische Aktionen machen Gefühle und Gedanken deutlich. Die Haltung seiner Helden, nicht die Handlung des Films ist dem Geschichtenerzähler und Action-Regisseur Hawks wichtig. Durch die verwickelten Handlungsstränge von „The Big Sleep“ blickt er selbst nicht mehr durch, und in seinen letzten drei Western geht es jedes Mal um dieselbe Geschichte, aber nicht als Wiederholung, sondern mit bezeichnenden Variationen des Genres, so dass daraus immer auch optimistische Actionfilme werden.

Entscheidend tragen dazu die Frauen bei, die es, abenteuerlustig und selbstbewusst, mit den Männern aufnehmen. Mit dem vieldeutigen Hinweis: „You know how to whistle, don’t you, Steve? You just put your lips together and blow“ war das Liebespaar Lauren Bacall/Humphrey Bogart in der Welt, im Kino wie im „wahren Leben“. Selbst neben John Wayne behaupten sich Howards Frauen: In „Red River“ wird seine Prügelei mit Montgomery Clift durch Joanne Dru mit dem Revolver beendet, in „Hatari!“ hält er eine ganze Elefantenherde in Schach, aber nicht Elsa Martinelli, und in „Rio Bravo“ will er als Sheriff Angie Dickinson verhaften und wird von ihr um den Finger gewickelt.

Wenn sie dann vollends die Initiative übernehmen und dafür sorgen, dass die Männerheldenwelt zusammenbricht, entsteht die Hawks’sche Komödie, die bisweilen knapp an der Tragödie vorbeischrammt. Sprache wird zum Kampfmittel, Geschwindigkeit ist Hexerei. Damit geht es los in „Twentieth Century“, das ist der rasende Schnellzug zwischen Chicago und New York als Schauplatz für die Redeschlachten im Wahnsinnstempo zwischen John Barrymore und Carole Lombard.

Die männlichen Profis werden unter dem Blick der Frauen zu wissenschaftlichen Fachidioten, sie fallen Infantilismus und Verblödung anheim. Genüsslich wird Rock Hudson als hochstaplerisches Gegenbild des Professionals entlarvt und so zum Spielball aggressiver Amazonen; im Handumdrehen machen sie aus dem Angelwettbewerb eine neue sportliche Disziplin Männerfang: „Man’s Favorite Sport?“

Das liebste Opfer ist Cary Grant. Als Verjüngungsdrogenexperte schüttelt, filtert, mixt, probiert er mit Ginger Rogers seine chemische Wunderwaffe, bis ein Affe den Mechanismus in die Hand nimmt: „Monkey Business“ („Liebling, ich werde jünger“). Als Paläontologe wird er von Katharine Hepburn gejagt, er jagt ihren Hund, der Hund jagt ihm den Brontosaurierknochen claviculus intercostalus ab, und einem Leoparden muss er „I can’t give you anything but love“ entgegenflöten: „Bringing Up Baby“ („Leoparden küsst man nicht“). Wilde Tiere, entfesselte Triebe, chemische Formeln und ein alter Knochen lassen alle Sicherheiten von Beruf, Geld, Status, Zivilisation zerbröseln.

Bei all dem kann einem das Lachen schon mal im Halse stecken bleiben, und immer möchte man für die Bezeichnungen Slapstick und Screwball neue Superlative erfinden. Man mag die visuelle Poesie eines John Ford, die rätselhaften Abgründe in Michelangelo Antonionis Filmen, die schicksalhaften Verstrickungen bei Fritz Lang rühmen und verehren: die Werke von Howard Hawks liebt man. „The Big Sky“ – es ist ein weiter Kinohimmel, unter dem seine Sterne leuchten wie eh und je. Etwa die Hälfte seiner 45 Filme sind jetzt im Arsenal zu sehen.

■ Arsenal, noch bis 30. Januar 2014

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