Die Achse des Ungewissen

Hölzerne Innenverteidiger, löchriges Mittelfeld: Vor dem Spiel gegen Polen und nach dem 4:2-Erfolg gegen Costa Rica stellen sich der DFB-Auswahl entscheidende Fragen. Die taz gibt 20 Antworten

VON MARKUS VÖLKER

Bevor wir loslegen: Wann spielt die deutsche Mannschaft ihr zweites WM-Match?

Am Mittwoch gegen Polen. Um 21 Uhr in Dortmund.

Ist das polnische Team zu schlagen?

Wenn die Auswahl des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) gewinnt, steht sie im Achtelfinale. Das Minimalziel wäre erreicht. Polen hat in seiner Auftaktpartie gegen Ecuador 0:2 verloren und muss dringend Punkte sammeln. Die Presse im eigenen Land zog über die Elf von Coach Pawel Janas übel her. Als „Dorftruppe“ wurde sie beschimpft. Fakt titelte auf einer schwarzen Seite: „Schande! Kehrt lieber nicht nach Polen zurück!“ Die Mannschaft hat etwas gutzumachen. Dringend.

Wie sieht das die deutsche Elf?

Philipp Lahm glaubt, die Ausgangslage sei günstig: „Sie sind gezwungen, offensiv zu spielen. Das ist gut für uns.“ Dadurch würden sich Räume ergeben. Auch Torsten Frings ist optimistisch: „Wir werden uns steigern. Das wird man gegen Polen sehen. Uns wird sich viel Platz bieten.“

Mit welcher Formation ist Polen gegen Ecuador aufgelaufen?

Janas hatte dem Team eine defensive 4-5-1-Taktik verordnet, wie sie auch die legendäre Erfolgsmannschaft von 1974 angewandt hatte. Doch Erfolge in der Gegenwart lassen sich nur selten mit den Mitteln der Vergangenheit reproduzieren. Janas will das aber nicht wahrhaben und hat den Spielern die Schuld an der Niederlage zugeschoben.

Es kriselt also im Team?

Ja.

Warum muss die deutsche Elf sich steigern?

Gegen Costa Rica hat die Klinsmannschaft viele schöne Tore erzielt, vier Stück in 34 Minuten Ballbesitz. Das Problem: Costa Rica hat auch zwei geschossen. Herausgekommen ist zwar nicht das torreichste Eröffnungsspiel einer Fußball-WM, das endete 1934 mit einem 7:1-Sieg der Italiener gegen die USA, aber ein turbulenter Kick, über den Michael Ballack nachher sagte: „Es ist das übliche Ergebnis, über das wir viel diskutieren können.“ Und Christoph Metzelder ergänzte: „Ein typisches Confed-Cup-Ergebnis.“

Warum konnte Costa Rica zwei Tore schießen?

Die Vierer-Abwehrkette der Deutschen hatte wieder einmal Probleme. Sie war weit aufgerückt, postierte sich nahe der Mittellinie, so dass der Eindruck entstand, die Defensive wolle auf Abseits spielen. Zweimal nutzte der Gegner das risikoreiche Stellungsspiel. Das ging einfach, weil die Abwehr bei den Gegentoren nicht auf einer Höhe stand und Arne Friedrich das Abseits jeweils aufgehoben hatte. Friedrich: „Scheiße, aber es geht weiter.“

Zwischenfrage: Was ist eigentlich Abseits?

In der Abseitsregel heißt es: „Ein Spieler befindet sich in einer Abseitsstellung, wenn er der gegnerischen Torlinie näher ist als der Ball und der vorletzte Abwehrspieler.“ Und der vorletzte Abwehrspieler ist in den meisten Fällen der letzte gegnerische Feldspieler, da es ja noch einen Torwart gibt, der im Tor steht. So einfach ist das.

Was sagen die Abwehrspieler zu ihrer Leistung?

„Vielleicht haben wir versucht, die Linie zu sehr zu halten“, glaubt Christoph Metzelder. „Wir wollten eigentlich nicht auf Abseits spielen. Hinten sind wir wenig beschäftigt worden, und in den entscheidenden Momenten haben wir zu viel Risiko genommen.“

Was heißt das?

„Wir hätten uns auch zurückfallen lassen können und eins zu eins spielen.“ Meint Metzelder.

Aber hat Assistenzcoach Joachim Löw nicht gerade erst intensiv das Stellungsspiel mit der Abwehr geübt?

Doch, aber mit ein paar Trainingseinheiten und dem Glauben an die eigene Stärke ist es nicht getan. Um alles intus zu haben, „braucht es eigentlich Monate, wenn nicht Jahre“, sagt Löw.

Ist der rechte Außenverteidiger, also Arne Friedrich, jetzt der Buhmann, weil er auch sonst eine unglückliche Figur machte?

Klar, er steht im Mittelpunkt der Kritik. Fast alle sahen in ihm den schwächsten Mann auf dem Feld. Auch in der Mannschaft sucht Friedrich seinen Platz. Der Bundestrainer hält aber zu ihm. Doch man muss dem Herthaner zugute halten, dass es nicht an ihm allein lag. Das Mittelfeld ließ dem Gegner zu viel Raum. Und die Innenverteidiger agierten hölzern-schematisch. Wie Tipp-Kick-Figuren, aufgereiht auf einer Achse des Ungewissen, spielten die defensiven vier. Der britische Guardian beobachtete denn auch: „Wenn Per Mertesacker und Christoph Metzelder weiterhin wie ein Denkmalpaar agieren, wird Deutschland jedes Mal vier Tore schießen müssen.“ Das ist ziemlich unwahrscheinlich.

Warum?

Weil im Achtelfinale England oder Schweden kommen – auch wenn Klinsmann auf das Wunderteam von Trinidad und Tobago hofft (0:0 in Unterzahl gegen Schweden).

Ist Michael Ballack am Mittwoch dabei?

Aller Wahrscheinlichkeit nach: ja. Die Wade ist wohl heil.

Hat es eine Auseinandersetzung zwischen ihm und Klinsmann gegeben?

Sagen wir mal so: Es hat „einen Austausch von Argumenten“ gegeben, wie Ballack einräumt. Der Kapitän hatte ja über die Bild-Zeitung am Freitag mitteilen lassen, dass er fit sei fürs Auftaktspiel.

Ist das nicht eine Provokation in Klinsmanns Augen?

Gewissermaßen. Interna sollen im inneren Kreis der Nationalmannschaft bleiben. Das ist das Credo des Bundestrainers. Ballack hat sich nicht daran gehalten – und sprach ein Wort zur Wade. Er selbst versuchte seinen Tabubruch am Wochenende herunter zu spielen: „Wenn mich Journalisten anrufen, gebe ich denen halt eine Antwort.“

Ist Ballack naiv?

Ach was, nur clever und als Kapitän in einer gehobenen Stellung, so dass er Klinsmann auch mal die Stirn bieten kann.

Was war denn eigentlich mit der Wade?

Ballack litt unter einer Verhärtung des rechten Unterschenkels und konnte nicht richtig trainieren. Der Trainer setze sich mit seinem Spielverbot durch – und den Kapitän auf die Verletztenliste. „Das hat zu Diskussionen geführt, aber nicht zu einem Konflikt“, sagte Oliver Bierhoff, Manager der Nationalmannschaft. „Sicherlich war er darüber verärgert, aber er muss das akzeptieren. Und in der Kabine vorm Spiel war er echt super.“

Super?

Ballack und Klinsmann waren auf Versöhnung aus, umarmten sich nach einem Tor sogar. Sie waren bemüht, der Öffentlichkeit zu zeigen, dass sie wieder miteinander können. Damit nicht genug, sagte Ballack in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: „Zwischen mir und Klinsmann bleibt nichts hängen.“

Alle reden über Ballack, aber was ist mit Lahm, dem Kunstschützen?

Der könnte der Star dieser WM werden. Glaubt Maradona. Und der muss es ja wissen. Oder?