Eine Stadt wird orange

20.000 holländische Fans sind zum gestrigen Spiel ihrer Mannschaft gegen Serbien und Montenegro nach Leipzig gekommen. Für die Leipziger sind die fünf WM-Spiele ein schöner Ersatz für Olympia

AUS LEIPZIG GEORG LÖWISCH

Der Wurstverkäufer in der Grimmaischen Straße war auf die Invasion vorbereitet. T-Shirt orange, Grillverkleidung orange und Preisschild auch orange. Jetzt stehen die orangefarbenen Kunden schön Schlange, obwohl sie ja selbst schon ein wenig brutzeln, aber so kurz vor dem Spiel müssen ein paar Kalorien rein, sonst fallen beim ersten Tor ja gleich alle um.

Die Holländer. Am Donnerstag tauchten die ersten in Leipzig auf und jetzt, am Tag des Spiels Niederlande gegen Serbien und Montenegro, sollen es 20.000 sein. Das sind viele für eine Stadt mit 500.000 Einwohnern, aber dann auch wieder nicht, weil Leipzig ja eigentlich olympisch werden wollte, und da muss man so ein paar Besucher wegstecken wie nix. Trotzdem stellt sich an so einem Tag natürlich auch die Frage: Wie hätte es ausgehen, wenn Leipzig doch Olympia bekommen hätte?

Wenn man Leipziger fragt, die den angereisten Zuschauern zuschauen, sagen sie meistens, dass Olympia eh eine Nummer zu groß war und fünf WM-Spiel gerade richtig sind. So direkt kann man die Ereignisse außerdem auch wieder nicht vergleichen. Für Olympia hat das IOC eine astronomisch hohe Bettenkapazität verlangt. Die Holländer brauchen zwar auch Betten, aber – große Campingnation – ein paar tausend bringen ihre Betten selbst mit. Campingplatz Kulkwitzersee: voll. Auensee: ausgebucht. Platz am Muldenstausee: Partylaune.

Angelique van Heerde und ihre Familie sind erst Freitagnacht mit dem Wohnwagen angekommen, sie mussten noch arbeiten und von Zwolle ist man acht Stunden unterwegs. Die 26-Jährige hat kleine blau-weiß-rote Nationalflaggen an den Zöpfen und der Hose, Hütchen und Ohrringe sind orange. Ihr Freund Henk ist im Gesicht eher hellrot, aber das hat eher damit zu tun, dass die Sonne so schön scheint und in seinem Heineken-Sechserpack nur noch eine Flasche übrig ist.

Sie stehen vor einer Bühne vorm Neuen Rathaus. Angelique van Heerde ist meistens bei den Spielen des Nationalteams dabei, und sie sagt, dass eben meistens tausende in Orange eine Stadt überfüllen. „Ich hab es eigentlich immer so erlebt.“

Aus niederländischer Perspektive ist das also ein gewöhnlicher Auftritt, obwohl der Ausdruck gewöhnlich vielleicht ein wenig strapaziert wird, wenn Menschen mit Perücken und angeklebten Koteletten, mit Indianderfederschmuck und Kriegsbemalung durch eine Stadt laufen – und das alles in Orange.

Den orangenen Wehrmachtshelm trägt fast niemand mehr. Spätestens seit Rijkaard Völler nicht mehr bespuckt, sondern mit ihm Butterreklame gemacht hat, ist die Erzfeindschaft zwischen den beiden Fußballnationen etwas aufgeweicht. In Leipzig laufen nur ein paar Fans rum, die mit Schimpfwort-T-Shirts die Tradition erhalten. So ein Schimpfwort-T-Shirt ist orange und auf dem Rücken mit „Puffmutter“ oder „Bummler“ bedruckt. Oder „Geißfocke“ – dieses seltsame Wort muss auch etwas Übles bedeuten.

Orange werden Frankfurt und Stuttgart ebenfalls werden, weil Holland auch dort spielt. Für Leipzig ist das trotzdem ein bisschen besonderer. Man braucht nur mit Joachim Horn am Strand zu sitzen. Den Strand hat er selbst aufschütten lassen, oder jedenfalls war die Fußballmeile an der Gottschedstraße seine Idee. Horn, 53, Spiegelsonnenbrille, Goldkettchen, hat vor fünf Jahren eine Olympia-Initiative gegründet.

Er ist MDR-Redakteur und PR-Profi. Um Olympia zu holen, hat er eine Montagsdemo einberufen, so richtig mit Transparenten wie 1989. Jetzt haut er die Slogans nur so raus: „Sportverrückte Bevölkerung“, „Die WM ist ein Hauptgewinn“, „Leipzig ist eine Go-Area. Das ist die Message.“

An der Haltestelle Thomaskirche wartet eine Leipziger Mutter mit zwei Bengels. Sie hat den Fehler gemacht, ihnen Holland-Spitzhüte zu kaufen und jetzt missbrauchen die beiden sie als Megafone. „Olé, ola, Holland noch ein Tor.“ Die Frau schubst die beiden ärgerlich in die Bahn: „Leute, wir sind neutral.“