Täuschen, tarnen, abstreiten

Die jüngsten Affären um den Bundesnachrichtendienst zeigen deutlich: Der BND ist reformunfähig und wird in seiner jetzigen Form nicht mehr gebraucht

… doch weite Teile des Bundesnachrichtendienstes zogen bei den Reformbemühungen nicht mit

Es gibt eine hübsche Formulierung, auf die die Mitarbeiter der Geheimdienste immer dann zurückgreifen, wenn etwas gründlich danebengegangen ist: „Aus dem Ruder gelaufen“, heißt es dann. Etwa wenn der Spion den Instruktionen seines Agentenführers nicht länger folgen will, wenn die Moral oder die Güte der beschafften Nachrichten des geheimen Mitarbeiters nachlässt, wenn er zu trinken beginnt oder sich gar zu enttarnen droht, dann ist der Mann aus dem Ruder gelaufen, eine Gefahr für sich selber, aber natürlich auch für den Auftraggeber.

Gute nachrichtendienstliche Verbindungen, vulgo: „Agenten“, sind allerdings ausgesprochen wertvoll. Weil sie schwer zu gewinnen sind und oft viele Jahre des Aufbaus bedürfen. Und aus diesem Grund wird der Auftraggeber zunächst versuchen, den aus dem Ruder gelaufenen Mann oder die aus dem Ruder gelaufene Frau wieder einzufangen. Das bedeutet: intensive psychologische Betreuung, beträchtliche finanzielle Zuwendungen, zur Not auch schon mal eine neue berufliche Existenz. Wenn aber alle Bemühungen versagen, bleibt nur das Ende: Dann wird die „Quelle abgeschaltet“.

Aus dem Ruder gelaufen scheinen derzeit aber nicht nur einzelne Mitarbeiter der Geheimdienste – der Apparat selbst ist gründlich vom Kurs abgekommen. Journalisten werden bis ins die jüngste Vergangenheit hinein vom Bundesnachrichtendienst überwacht – angeblich ohne Wissen der Behördenspitze oder der zuständigen Aufsicht im Kanzleramt; Mitarbeiter des BND sollen den US-Geheimdiensten im Irakkrieg militärisch wertvolle Informationen zugesteckt haben – während die Bundesrepublik Deutschland öffentlich vehement gegen das Kriegsabenteuer von US-Präsident George W. Bush Stellung bezieht.

Beamte des Pullacher Geheimdienstes beteiligen sich an Verschleppungen und Verhören Terrorverdächtiger in notorischen Folterstaaten – gleichzeitig rügt in Berlin die offizielle Politik die menschenrechtswidrigen Praktiken der USA im ausgerufenen Krieg gegen den Terrorismus. Und als wären die jüngsten Skandale des BND nicht genug, kommt auch eine Altlast aus den Anfängen des Dienstes ans Tageslicht. Frühzeitig kannte der BND den Namen und den Aufenthaltsort des NS-Kriegsverbrechers Adolf Eichmann in Argentinien, ohne auch nur einen Schritt in Richtung Strafverfolgung zu unternehmen. Kein Wunder also, dass sich der BND auch heute noch weigert, die mehr als 40 Jahre alten Akten aus seinen Beständen zur historischen Forschung freizugeben.

Täuschen, tarnen, abstreiten: Dass sich die Geheimdienste dieser Welt nur ausgesprochen ungern in die Karten blicken lassen, liegt wohl in der Natur des klandestinen Gewerbes. Das erfährt gegenwärtig auch das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG), das ein Mindestmaß an Kontrolle über den Geheimdienst ausüben soll, dazu aber mangels Befugnissen nicht in der Lage ist. Das PKG kann zwar im Einzelfall einen Sonderermittler zur Klärung bestimmter Sachverhalte benennen. Doch auch dieser ist – wie der jüngste Bericht des früheren Bundesrichters Gerhard Schäfer in der Affäre um die Journalistenbespitzelung zeigt – ebenso wie das PKG selber auf die Zuarbeit durch den Geheimdienst angewiesen. Dass der BND gesetzlich verpflichtet wurde, bedeutende Vorgänge von sich aus im Kontrollgremium vorzutragen, hilft auch nicht wirklich weiter – denn was bedeutsam ist, definiert der BND selbst.

So bleibt als einzig effektive Kontrollinstanz der Parlamentarische Untersuchungsausschuss. Doch auch ein solcher Ausschuss hat den Mangel, erst dann eingerichtet zu werden, wenn der Skandal bereits eingetreten ist. Zudem spiegeln sich in diesem Gremium die Mehrheitsverhältnisse des Bundestags. Im gegenwärtigen Ausschuss zu den BND-Affären, den der Bundestag am 7. April eingerichtet hat, stellt die große Koalition acht der elf Mitglieder. Von der so genannten „schärfsten Waffe der Opposition“ kann also kaum die Rede sein.

Sicherheitspolitiker nicht nur der Oppositionsparteien diskutieren daher, die Kontrolle über die Schlapphüte künftig auf andere Beine zu stellen. Angeregt wird das Modell eines Ombudsmanns, der wie etwa der Verteidigungbeauftragte parallel zu den existierenden Bundestagsausschüssen vom Bundestag gewählt werden und über eigenes Personal verfügen und direkten Zugang zu den Unterlagen und Mitarbeitern des Nachrichtendienstes erhalten soll. Ob ein solcher Ombudsmann, sollte er denn kommen, den Pullacher Kraken bändigen könnte, bleibt abzuwarten.

Nun war es nicht so, dass es keine Versuche gegeben hätte, den aus der Organisation Gehlen hervorgegangenen Bundesnachrichtendienst zu reformieren. Mit der Implosion des real existierenden Sozialismus und dem Wegfall der Ost-West-Konfrontation ist der BND wie die Nachrichtendienste anderer Länder in eine tiefe Legitimationskrise gestürzt, von der er sich bis heute nicht richtig erholt hat. Den Dienst aus der Sumpflandschaft des Kalten Krieges herauszuführen versuchte als erster der 1996 von Helmut Kohl zum BND-Chef berufene frühere Direktor der Gauck-Behörde, Hansjörg Geiger. Symbolischer Akt war, die an der Pullacher Zentrale angebrachte Bezeichnung „Behördenunterkunft“ durch „Bundesnachrichtendienst“ zu ersetzen. Auch Geigers Nachfolger, August Hanning und Ernst Uhrlau, standen und stehen für den Versuch, den BND zu einem effizienten Beratungsgremium für die Regierung weiterzuentwickeln. Und bis vor einem Jahr schien der Umbau der Behörde auch ziemlich erfolgreich.

Es gab durchaus Versuche, den BND aus der Sumpflandschaft des Kalten Krieges herauszuführen …

Bemerkenswerterweise stieg das Ansehen der Pullacher vor allem unter den beiden rot-grünen Regierungen. Das ging sogar so weit, dass gestandene Geheimdienstkritiker wie der Weilheimer Friedensforscher Erich Schmidt-Eenboom beachtliche Veränderungen in Pullach konstatierten und den Kontakt zu den „Reformern“ im BND suchten. Doch wie die jüngst bekannt gewordenen Skandale zeigen, zogen weite Teile des Dienstes bei den Reformbemühungen nicht mit. Sie führten als Apparat im Apparat ein eigenständiges und gegen Neuerungen resistentes Leben, von dessen Existenz die BND-Führung (will man ihren Angaben Glauben schenken) gar nichts mitbekommen hat.

Um im Bild zu bleiben: Der Dienst ist aus dem Ruder gelaufen. Psychologische Betreuung hat es in den vergangenen Jahren genug gegeben, in Form diverser langwieriger Ausschüsse und zahlloser Gremiumsberatungen, von der Affäre um den Export von als Landwirtschaftsmaschinen getarnten Kriegswaffen nach Israel über den vom BND eingefädelten Schmuggel von Plutonium nach Deutschland bis zum BND-Einsatz in Bagdad während des Irakkriegs. An finanziellen Aufwendung für die Quelle BND hat es in der Vergangenheit auch nicht gefehlt. Bleibt also die Wahl: die Quelle abzuschalten oder ihr eine neue berufliche Existenz zu verschaffen. Den BND in seiner jetzigen Form braucht niemand mehr.

WOLFGANG GAST