Freundliche Invasion

aus Warschau Jan Feddersen

Vor dem Sejm, dem polnischen Parlament, sah es noch aus, als hätte die Einschüchterung gegen die Parade der Gleichheit gewirkt. Radio Maryja, der katholische Radiosender, unkte gehässig, die zur Demonstration kommenden Deutschen verkörperten die zweite Invasion in Polen nach 1939. Kaum 3.000 Menschen, Männer, Frauen, Familien mit ihren Kindern, standen in einer Grünanlage beieinander – umringt von deutlich angespannt wirkenden Polizisten. Eine Queermacht in Warschau – der Anlass: die Hetze gegen Homosexuelle; der Grund, auch für viele Heteros: Protest gegen eine antifreiheitliche Stimmung im Land. Recht bald flogen einige Eier, Äpfel und Steine aus den Skinheadgruppen hinter dem Polizeikordon – Jungfaschisten aus dem Milieu von Bildungsminister Roman Giertych. Anders als im Vorjahr forderten sie aber nicht, Schwule sollten „ins Gas“ – ein Fortschritt?

Fünf Stunden später bilanzierte der Polizeisprecher Pawel Biedziak, es habe 14 Verhaftungen gegeben, allesamt Rechte – und später noch zwei Ingewahrsamnahmen von autonomen Provokateuren. Sie hatten am Theaterplatz, dem Kundgebungsort, ihren Protest gegen die wenigen umstehenden „Polonisten“ – so bezeichnen sich die Homophoben selbst – handgreiflich unterstrichen. Voriges Jahr, als die Toleranzparade noch illegal war, hatte die Polizei ein Fiasko zu verantworten: Sie war weder in der Lage noch offenbar willens, die queeren Paradeteilnehmer zu schützen. Es gab mehrere Verletzte.

Als Konsequenz wurden in diesem Jahr vier Elitepolizisten mit der Organisation der Ordnungskräfte betraut. Mit mehr Erfolg. Einige der jungen Bereitschaftspolizisten, aus allen Teilen des Landes zusammengezogen, lächelten zum Feierabend. Einer aus Danzig sagte: „Wir wollen euch nächstes Jahr wieder schützen.“ Auch Polizeisprecher Biedziak zog ein positives Fazit: „Wir konnten professionell arbeiten. Die Parade fühlte sich geschützt.“

Der Marsch der Gleichheit selbst schwoll auf dem Weg zum Theaterplatz auf 30.000 Teilnehmende an, bestätigten Polizisten. Fast belustigend wirkten die seltsam einsamen Protestierer am Rande: „Gegen Eurohomosexualisierung Polens“ stand auf einem Plakat, auf einem anderen war „Ich bin ein polnischer Bürger und habe polnische Pflichten“ zu lesen: Fortpflanzung als Pflicht. „Antipolonisten raus aus Polen“, hieß es auf einem anderen, und ein Schild verkündete sogar: „Wir sind polnische Palästinenser“. Es soll so gedeutet werden: Palästinenser dürften nicht so leben, wie sie wollen, weil es Israel gibt und seine Siedlungen im Westjordanland; Polen hingegen sei in Gefahr, durch die „Pädophilen“ verseucht zu werden. Auf dem ersten von zwei Wagen der Parade stand auf der Kühlerhaube lediglich: „Killt Homophobie“ – „Zabija homofobie“.

Die deutschen Delegierten, angeführt vom Bündnis „Warschauer Pakt 2006“, von Thomas Hermanns, Georg Uecker, den Grünen Claudia Roth und Volker Beck und der SPD-Abgeordneten Mechthild Rawert, marschierten ganz unprätentiös mit. Tomasz Baczkowski, Mitorganisator der Parade, dankte den 5.000 ausländischen Gästen: „Ohne eure Hilfe wären wir weiter im Untergrund.“ Jakob Stelmach, jüdischer Pole und einer von vielen Helfern, sagte: „Wir haben jetzt eine Idee, dass Polen wieder normal wird.“