Eine ganze Nacht mit dem wohl besten DJ der Welt

PARTY Acht Stunden lang spielt Greg Wilson in der Kantine des Berghain ein großartiges DJ-Set zwischen Disko und HipHop. Merkwürdigerweise fehlen die Massen bei der ungewöhnlichen Party mit dem Meister der Re-Edits. Getanzt wird umso doller

Zwei Stunden, viel länger legen DJs im durchorganisierten Partybetrieb der Clubs im Normalfall nicht auf. Auch wenn es gerade noch so schön ist, zu einer vorher vereinbarten Zeit hat Schluss zu sein und der nächste Plattendreher darf die Menge bespaßen. Nicht einmal maximale künstlerische Entfaltung ist im Clubaltag obligatorisch, wer um ein Uhr nachts auflegt, darf noch nicht so gnadenlos Hits verballern wie der Kollege ein paar Stunden später, damit die Nacht ihrem Höhepunkt auch wirklich nicht zu früh entgegensteuert.

Im Berghain hat man sich nun eine Partyreihe überlegt, bei der derartiges DJ-Regelwerk keine Rolle spielen soll. Bei „Eine Nacht mit …“ ist alles wieder ganz einfach, wie früher, könnte man fast sagen, wo DJs wie Sven Väth auch irgendwann begonnen haben aufzulegen und aufhörten, wenn ihnen danach war. Das Konzept funktioniert schlicht so: Ein DJ allein nimmt einen mit auf seine ganz persönliche Reise durch die Nacht. Und so stellte sich letzte Woche Greg Wilson bereits um 22 Uhr hinter das DJ-Pult der Berghain-Kantine, um diesen Platz ganze acht Stunden lang nicht mehr zu verlassen.

Ein Acht-Stunden-Set, das kann für das Publikum natürlich auch eine Strafe sein. Mit Greg Wilson hat man dann aber wohl ganz bewusst einen DJ geladen, der musikalisch derart vielseitig ist, dass die Gefahr von Langeweile garantiert nicht aufkommt. Wilson ist ein großer Eklektiker, der schon in den mittleren Siebzigern mit dem Auflegen begonnen hat und als ein Pionier der englischen Clubkultur zu Beginn der Achtziger gilt, später war er Resident-DJ im legendären Club Hacienda in Manchester, der bis heute unvergessen ist. Er ist der Westbam Englands, wenn man so will, einer, der schon früh auch außerhalb Amerikas Funk, Soul, Disco und die ersten Ansätze von House und HipHop zusammenbrachte und nach dem Vorbild amerikanischer DJs bereits Platten mixte, als in der Heimat kaum jemand wusste, was das überhaupt ist, ein Discjockey. Anders als Westbam hat Wilson dann nicht zum Techno gefunden, sondern er blieb der avancierten Discomusik treu und entwickelte sich zu einem Pionier der sogenannten Re-Edits. Mit Hilfe von geradezu mittelalterlichem Equipment wie Bandmaschinen, einem Kassettenrecorder, zwei Plattenspielern und einer scharfen Rasierklinge manipulierte er Discostücke, verlängerte sie, unterlegte sie mit Halleffekten und klanglichen Spielereien.

Alles war möglich

Disco-Edits sind heute wieder schwer angesagt, komisch also, dass Greg Wilson, der Meister der Re-Edits, zum endlosen Trip rief und sich trotzdem nur ein dürftiges Häuflein Tanzwilliger in der Kantine einfand. Sind denn die Berliner Hipster wirklich schon alle in den Weihnachtsferien? Wilson legte grandios auf, Disco, Acid, HipHop, Cosmic, dazwischen mal „Don’t Stop The Dance“ von Bryan Ferry, alles war möglich, alles ging, die Partyidee ging absolut auf, allein die Publikumsmassen fehlten.

So entwickelte sich die Atmosphäre einer Privatparty zu später Stunde, bei der das Gros der Gäste schon wieder verschwunden ist, der Rest aber umso tanzwütiger ist. Es war kein Kommen und Gehen wie sonst in Berliner Clubs, sondern die, die da waren, blieben und sie blieben unter sich.

Manche übten sich im Paartanz oder entwickelten eher ungewöhnliche Tanzchoreografien, auch das kennt man von WG-Partys, wo man sich teilweise schon länger kennt und so eher bereit ist, abenteuerlich bis bekloppt zu tanzen oder einfach mal beim Verrenken hinzufallen. Es war also eine wunderbare Party, Greg Wilson hielt tapfer durch und ist jetzt immerhin für ein paar Berliner der wohl beste DJ der Welt. ANDREAS HARTMANN