Reformer fürchten die Isolation des Iran

Chatami-Anhänger beobachten mit Sorge, wie Präsident Ahmadinedschad ihr Land ins Abseits manövriert. Atomstreit und Holocaust-Provokationen belasten ihrer Meinung nach nicht nur das Verhältnis zum Westen, sondern schaden auch im Inneren

AUS ISFAHAN UND TEHERAN KRISTIN HELBERG

Hossein Mollai sitzt in seinem geräumigen Büro in Isfahan und übt sich in Galgenhumor. Neunzig Kilometer weiter nördlich reichert die Atomanlage Natanz seit Monaten Uran an, sie gilt als potenzielles Ziel amerikanischer Luftangriffe. „Vielleicht sehen Sie mich heute zum letzten Mal“, witzelt der Geschäftsmann. Doch er rechnet nicht wirklich mit einem Militärschlag. Die neuen versöhnlichen Töne aus Washington und Teheran lassen ihn auf eine friedliche Lösung des Nuklearkonflikts hoffen. Mollai hält Verhandlungen für den einzigen Weg aus der Krise. „Wir müssen uns eingestehen, dass die USA das mächtigste Land der Welt sind“, sagt der Reformer. Konfrontation bringe nichts. Als einer von elf Stadträten in Isfahan zählt Mollai zu den letzten amtierenden Reformern. Die meisten seiner Parteifreunde sind seit der Machtübernahme der Konservativen von der politischen Bühne verschwunden. Rajbali Mazrui zum Beispiel, Chef des iranischen Journalistenverbandes, der im Parlament saß, bis der Wächterrat ihn bei den Wahlen 2004 nicht mehr kandidieren ließ. „Das Problem ist nicht das Nuklearprogramm, sondern das Misstrauen gegenüber unserer Führung“, meint Mazrui. Indien und Pakistan könnten Atomenergie produzieren, weil sie für die Mächtigen der Welt berechenbar seien. Ahmadinedschad löse jedoch Ängste aus, statt Vertrauen zu schaffen. „Hätten wir ein gutes Verhältnis zum Westen, würde unser Atomprogramm niemanden interessieren.“

Irans Reformer halten an ihrem prowestlichen Kurs fest, auch wenn viele die Europäer und Amerikaner für ihr Scheitern mit verantwortlich machen. „Die Lösung des Atomstreits hätte Chatamis größter Erfolg sein können“, sagt Kambiz Tavana, Redakteur der Teheraner Tageszeitung Ham-Shahri. „Die Reformer versprachen sich von einer Aussöhnung mit dem Westen mehr Handel und ausländische Investitionen, das wäre der Durchbruch gewesen“, erklärt der Journalist. Doch statt Chatamis friedliche Regierung in die internationale Gemeinschaft aufzunehmen, setzten die USA sie auf die Achse des Bösen. Ein strategischer Fehler, meint Tavana, denn damit galt ihre Politik der Annäherung als gescheitert.

Vor allem an den Universitäten zerstörte die Niederlage der Reformer viele Hoffnungen. Vorbei sind die Zeiten studentischer Massenproteste. Die neue Generation glaube nicht mehr daran, etwas verändern zu können, sagt Abdollah Momeni, einer der letzten aktiven Studentenführer. „Sie will Demokratie und Freiheit, ist aber nicht bereit, dafür zu kämpfen.“ Die jungen Leute sehen, welch hohen Preis die älteren Kommilitonen bezahlen. Viele wurden vom Studium ausgeschlossen, manche vor Gericht gestellt. Momeni ist zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden, musste seine Haftstrafe aber bislang nicht antreten. „Angesichts der außenpolitischen Spannungen will die Regierung nicht noch mehr negative Schlagzeilen“, vermutet der Aktivist, der sich mit Journalisten am liebsten in anonymen Hotellobbys trifft. Vom Westen wünscht sich der 29-Jährige mehr Engagement in Sachen Menschenrechte. Militäraktionen und Sanktionen lehnt er ab, weil sie in erster Linie das Volk träfen.

„Jede Form von Druck stärkt nur die Hardliner“, meint auch Journalist Tavana. Schon jetzt diene die Nuklearkrise hauptsächlich dazu, die Menschen im Inneren zu einen. Irans Recht auf Atomenergie ist zu einer wirksamen nationalen Parole geworden, fast alle Iraner fordern inzwischen eine friedliche Nutzung der Nukleartechnik.

Dabei habe das Thema noch vor einem Jahr niemanden interessiert, sagt Mohammed Ali Abtahi, der frühere Bürochef von Expräsident Chatami. Im Wahlkampf habe Ahmadinedschad nicht von Atomenergie, sondern von Armut und Wirtschaftswachstum gesprochen, erklärt der Reformer. Mit seinem außenpolitischen Konfrontationskurs schade sich der iranische Präsident folglich selbst. „Seine Äußerungen zum Holocaust und zu Israel schrecken ausländische Investoren ab, seine Nuklearpolitik provoziert Sanktionen“, so Abtahi. Der prominente Kleriker diagnostiziert ein ideologisches Problem. Da sich Ahmadinedschad als weltweiter Führer der Unterdrückten sehe, vertrete er die Interessen anderer Völker statt die der Iraner.

Eine fatale Politik, warnt Exparlamentarier Mazrui. „Was haben wir im Falle eines Krieges von den Sympathien der Palästinenser, Afrikaner und Südamerikaner?“ Es gehe um Macht, nicht um Gefühle. Statt eines Atomprogramms brauchten die Iraner mehr Freiheit und Mitbestimmung. „Wirklich mächtig wird der Iran nicht durch die Anreicherung von Uran, sondern durch die Förderung von Demokratie“, meint der Realpolitiker.