Menschlicher Schlamassel mit Vergnügungspotenzial

LITERATUR Ein Schnaufen, Stöhnen, Grummeln – der Schauspieler Tilo Prückner präsentiert in der Fahimi-Bar seinen Debütroman

Tilo Prückner trägt einen weißen Schnurrbart, einen schwarzen Ledermantel und eine Schirmmütze. „Willi Merkatz wird verlassen“ heißt sein Buch, es ist der Debütroman des 1940 geborenen Schauspielers. Als die Fahimi-Bar am Kottbusser Tor am Dienstagabend bei der Verbrecher Versammlung voll mit Kollegen, Fans und ehemaligen Schulfreunden ist, setzt er eine Brille auf und sich hinter die Leselampe. Dann geht es los.

In der ersten Szene steht ein Sechzigjähriger unter der Dusche und heult. Der nackte, nasse Mann ist Wilhelm Merkatz. Er merkt, dass er Worte für die eigenen Gefühle sucht – er ist „einsam bis auf die Knochen“ – und wundert sich darüber. Durch den Loop der Selbstreflexion erscheint sein ganzer menschlicher Schlamassel noch trostloser.

Prückner liest mit ausgebildeter Bühnenstimme: Verrtrrautheit, Frrrühstück, Katarrrina. Letztere ist die Ehefrau, die Willi gerade mitgeteilt hat, sie brauche eine Auszeit. Trotzdem fährt das zerrüttete Paar gemeinsam nach Indien und unterwirft sich einer ayurvedischen Kur für die Vata-, Kapha- und Pittaanteile der Persönlichkeit. Bei Prückner klingen die indischen Begriffe sämtlich wie Schimpfworte, aber keine Sorge, alle werden von ihm gleichberechtigt durch den Kakao gezogen, Inder wie Deutsche.

Während Wilhelm sich vorstellt, wie die eine „Ehehälfte hinaus aufs Meer treibt“, verknallt sich seine Frau in einen brahmanischen Arzt und lädt diesen ein, eine ayurvedische Praxis in der Berliner Wohnung einzurichten. Der beleidigte Ehemann flieht nach Bayern und versucht sich aus Rache in seine Sprechstundenhilfe zu verlieben.

Besonders großartig sind die Momente, in denen Prückner das Liebhaberverprügelungskonzept seines Protagonisten vorführt oder vorspielt, wie Wilhelm den Ehering auf den Tisch knallt, aufsteht, an den Tisch stößt, sich verschluckt, bezahlt und geht. Im Buch ist der Ablauf sogar nummeriert. Auch der Streit mit einer Mediatorin hat Vergnügungspotenzial: Letztere kommt außer mit „Herr Merkatz!“ kaum zu Wort. Und als Katarina vorschlägt, Wilhelm könne doch im Badezimmer kochen, wehrt sich dieser sofort mit dem Argument des Abspülens: „Das erledige ich am besten in der Kloschüssel!“

Prückner hat eigens darauf hingewiesen, dass er nicht über sich selbst schreibt. Kein Wunder, immer wieder geht es um das „Geschlechtswerkzeug“. Bei einer Passage über Altmänner- und Vergewaltigungsfantasien wundert man sich über den Szenenapplaus. Und das zweistrahlige Pissen spricht wohl auch nur ein bestimmtes Publikum an.

Trotzdem: Sollte das Buch verfilmt werden, dann am besten mit Prückner in der Hauptrolle. Der Schauspieler, der einst die Schaubühne mitbegründet hat und im Fernsehen etwa in „Adelheid und ihre Mörder“ und etlichen „Tatort“-Folgen zu sehen war, schnauft, stöhnt, schimpft und grummelt bei seiner Lesung, dass es eine Freude ist. Jede Geste sitzt, besonders in den gefühlvollen Szenen, wenn Prückner aus seinem Buch liest: „Ich liebe dich (Blick über die Brille) – immer noch (Blick über die Brille) – trotz allem.“ CATARINA VON WEDEMEYER

■ Tilo Prückner: „Willi Merkatz wird verlassen“. Verbrecher Verlag 2013, 300 Seiten, 24 Euro