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HAMBURGER SZENE VON REBECCA CLARE SANGERDaumen hoch

Während ich noch überlege, was passiert, wenn man sich konsequent nicht wäscht, wird sein Oberkörper ein Teil der Natur

Er sitzt nicht mehr auf seiner Parkbank, nein, er liegt im Gras, das durch den Sonnenschein noch grüner geworden ist. Aber ich erkenne ihn doch wieder: am fehlenden Bein. „Du hast doch die 26 Wölfe“, sage ich, und mit geschlossenen Augen hebt er die Daumen.

Heute trägt er nur eine Weste über dem nackten Oberkörper, und das linke Hosenbein, das leere, ist an seiner Taille grünbraun an den Hosenbund geknotet. Wie ein Yogi sieht er aus mit seinem ausgestellten Hüftknochen. Darunter hat er eine Kuhle, so wie die männlichen Models in Calvin-Klein-Werbungen. An seinem nackten Fuß klebt Schorf.

Er richtet sich auf, hinter seinen Ohren ist die Haut eingerissen, hellrosa klafft es zwischen Rastalocke und Ohr. „Wie alt bist du eigentlich?“, frage ich und denke noch im selben Moment, mir gebricht es an Diskretion. – „53“, sagt er. – „Weißt du noch? Du wolltest mich heiraten.“ Er winkt ab, jetzt zeigt der Daumen runter. Jetzt liegt er wieder im Gras, sein Bein in der Wiese, und während ich noch überlege, was eigentlich passiert, wenn man sich so richtig konsequent nicht wäscht, wird sein brauner Oberkörper ein Teil der Natur, der Parklandschaft. Die Schilfpflanzen am Teich werden ja auch nie gewaschen, da regnet es höchstens mal drauf.

Mist. Wie er heißt, hab ich wieder vergessen zu fragen. REBECCA CLARE SANGER

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