Elefanten-Chef auf Pastis

Henri Michel coacht die Elfenbeinküste und muss viel Kritik einstecken. Das ist der Weltenbummler aber längst gewohnt. Trotzdem plant er eine Veränderung vor dem heutigen Spiel gegen Holland

AUS TROISDORF RALF ITZEL

Henri Michel steckt sich eine Zigarette an. Im kleinen Stadion von Troisdorf zwischen Bonn und Köln üben die Stürmer der Elfenbeinküste zwar noch den Torschuss, aber das kann der Coach auch auf der Bank sitzend verfolgen. Warum soll er jetzt in Aktionismus verfallen? Es hilft ja nichts, er kann es sowieso nicht allen recht machen.

Seine junge Mannschaft wurde in die schwierigste aller Gruppen gelost, hat im ersten WM-Spiel der Landesgeschichte gegen die Argentinier eine tolle Leistung geboten und nur knapp 1:2 verloren – trotzdem bekam Michel in den heimischen Medien sein Fett weg. „WM 2006 – die Niederlage Henri Michels“, titelte die Zeitung Le Patriote und kritisierte seine Aufstellung genauso wie das Blatt Notre Voie, demzufolge der Franzose „entgegen jeglicher Vernunft und Logik“ auf der rechten Angriffsseite Keïta Kader statt Aruna Dindane aufgeboten und auch sonst viele Fehler gemacht habe.

Für die Partie am heutigen Freitag gegen die Holländer hat Michel Veränderungen signalisiert – und auch das wird gegen ihn verwendet. In zwei Jahren habe er es nicht verstanden, aus großartigen Individuen eine starke Stammelf zu formen, meckern die neunzehn mitgereisten Journalisten und andere Besserwisser aus Westafrika.

Sollte es gegen die Oranje schief gehen, könnte es das für den 58-Jährigen gewesen sein. Kürzlich noch gefeiert als erster Coach, der das Team zur WM und ins Finale der Afrikameisterschaft bringen konnte, dürften sie ihn dafür kreuzigen, das Achtelfinale verpasst zu haben.

Henry Michel nimmt einen tiefen Zug. Wirklich schocken kann ihn all das nicht mehr. Der Chef der so genannten Elefanten hat mittlerweile die entsprechend dicke Haut, nach allem, was er erlebt hat.

Es ist seine vierte WM als Trainer. 1986 schaffte er es mit der französischen Equipe nach einem legendären Triumph gegen Brasilien bis ins Halbfinale und auf Platz drei. Daran erinnern sich seine Landsleute allerdings kaum noch. Auch seiner aktiven Zeit als eleganter Mittelfeldspieler und Kapitän der Nationalelf entsinnen sich nur wenige Franzosen. Das Unentschieden in Zypern dagegen ist allen noch geläufig: Weil dadurch die Qualifikation für die WM 1990 in Gefahr geriet, wurde Henri Michel per Palastrevolution abgesetzt und durch Michel Platini ersetzt, unter dem „Les Bleus“ die Teilnahme aber auch verpassten. Noch heute behauptet Michel, er hätte das Ruder damals rumreißen können.

Bekannt gemacht hat ihn auch ein deftiger Streit mit Eric Cantona. Das Enfant terrible nannte seinen damaligen Coach, der ebenfalls eine klare Sprache pflegt, „sac a merde“, frei übersetzbar mit „ein Stück Sch …“.

1994 war Michel mit Kamerun bei der WM. Sechs Monate vorher angeheuert, bekam er die vom Erfolg in Italien vier Jahre zuvor geblendete Auswahl und deren Umfeld nie in den Griff. Der 42-jährige Roger Milla wurde ihm aufgezwungen, es gab endlosen Streit um Prämien – die Situation war so chaotisch wie heute in Togo. Nach Blamagen gegen Brasilien und Russland geriet die Situation außer Kontrolle, es gab sogar eine zünftige Schlägerei im Hotel. „Diese Erfahrung hat zwar nicht meine Leidenschaft für den Fußball getötet“, meinte Michel einmal, „aber meine Sensibilitäten ausgelöscht.“

Bei der folgenden WM hatte er wieder Pech, als er in Frankreich eine spektakuläre marokkanische Mannschaft leitete. Mustapha Hadji und die Kollegen waren auf dem Weg ins Achtelfinale, bis Brasilien am letzten Gruppenspieltag gegen Norwegen die Schützenhilfe verwehrte. 2002 schließlich verdarb ihm Tunesiens Verband die WM noch vor dem Beginn: Trotz erfolgreicher Qualifikation wurde Michel nach einem schwachen Afrikacup und Streit um Organisatorisches gefeuert.

Kein Wunder also, dass den Weltenbummler, der auch in Saudi-Arabien arbeitete und mit seiner libanesischen Frau in deren Heimat lebt, nichts mehr umwerfen kann. Die Spieler der Elfenbeinküste mögen ihren Coach. „Er lässt uns auf afrikanische Weise leben“, sagt Kapitän Didier Drogba. Beim Bankett im Trainingslager in Frankreich wurde getanzt und gesungen, Michel saß am Tisch und schwenkte seine Serviette.

Die Zigarette ist ausgeraucht, Drogba und die anderen aber lassen sich immer noch mit Flanken füttern. Michel steht auf und veranstaltet einen Ausscheidungswettbewerb: Wer nicht trifft, muss aufhören. Denn langsam wird es Zeit, ins Hotel zu fahren. Dort dürfte er sich dann erstmal ein Gläschen Pastis genehmigen, sein Lieblingsgetränk.