In Minsk unvorstellbar

WEISSRUSSLAND Viele zeigen sich solidarisch mit Protesten in der Ukraine

MINSK taz | Weißrusslands wenige unabhängige Medien werden nicht müde, aus Kiew zu berichten. Fotojournalisten beliefern die Agenturen ständig mit aktuellen Bildern, bei Facebook ist die Ukraine Thema Nummer eins.

Und Weißrussen sind mit dabei, wenn in Kiew zwischen den Sicherheitskräften und den Demonstranten vermittelt wird. So auch Natalja Gorjatschko, die eine ganze Nacht in der Nähe der Bühne des „Euro-Maidan“ der klirrenden Kälte standgehalten hatte. Sie habe sich auf den Weg nach Kiew gemacht, weil sie mit anderen Frauen den „Euro-Maidan“ habe verteidigen wollen.

Solidarität mit den Demonstranten in Kiew kam auch von der weißrussischen Band Ljapis Trubezkoj, die auf dem Maidan den Frierenden einheizte. In Weißrussland kann die Gruppe schon lange nicht mehr öffentlich auftreten. „Wir haben große Achtung vor euch“, rief der Frontmann der Gruppe, Sergej Michalok, der Menge zu. „Ihr zeigt, dass man mit Mut und Einheit nicht nur für seine Rechte und Freiheiten kämpfen, sondern auch staatlicher und polizeilicher Willkür Einhalt gebieten kann.“

Natürlich vergleichen die weißrussischen Medien immer wieder die Demonstrationen in der Ukraine mit der kurzzeitigen „Revolution“ in Weißrussland nach den Präsidentschaftswahlen 2010. Es gibt Gemeinsamkeiten, doch die Unterschiede überwiegen. In Kiew gehen weitaus mehr Menschen auf die Straße als in Weißrussland vor drei Jahren. „Im ukrainischen Parlament gehört fast die Hälfte aller Abgeordneten zur Opposition“, zitiert die Zeitung Narodnaja Volja den Politologen Jurij Dragochrust. „Sogar Bürgermeister und Gouverneure scheuen sich nicht, offen die Demonstranten zu unterstützen, treten in den Streik und ermuntern ihre Bürger, zur Unterstützung der Proteste nach Kiew zu reisen. All das wäre in Weißrussland nicht vorstellbar.“

Auf den weißrussischen Internetportalen fallen die Kommentare zu Kiew recht unterschiedlich aus. „Erklärt doch mal der Ukraine“, schreiben User des Portals open.by, „dass der Maidan nur das Geld der polnischen und ukrainischen Oligarchen verteidigt, die man dem ukrainischen Volk gestohlen hat. Man benutzt das Volk doch nur als Kanonenfutter, will von den eigenen Interessen und den Plänen mit dem Big Business in Europa ablenken.“ An anderer Stelle auf tut.by heißt es: „Wer sind eigentlich diese Leute, die in ihren Zelten auf dem Maidan sitzen? Wo arbeiten sie, womit verdienen sie ihren Lebensunterhalt? Da gibt es nur eine Antwort: Das sind die Tagediebe, die am liebsten von der Stütze aus Europa leben möchten.“ „Ich beneide die Ukrainer“, schreibt ein Wital auf tut.by. „Sie trauen sich, offen ihre Meinung zu sagen, haben keine Angst davor, dass ihnen ein Omon-Polizist die Beine bricht.“

Die Menschen in Weißrussland fühlen mit den Ukrainern mit. Nicht alle glauben an einen Erfolg. Laut einer Umfrage von Evroradio glauben viele Minsker, Russland werde nicht zulassen, dass Kiew das Assoziierungsabkommen mit der EU unterschreibt. EKATERINA MORGOL

Aus dem Russischen Bernhard Clasen