Der Schweinefleischverkäufer

KABINETT Im Agrarministerium sind viele froh, den bisherigen Staatssekretär los zu sein: Gerd Müller von der CSU ist neuer Entwicklungsminister

■ Der Name: Gerd Müller wird gerne mit seinem Namensvetter, dem „Bomber der Nation“, verwechselt – wie in dieser Woche von der türkischen Zeitung Hürriyet. Am Dienstag war dort neben seinem Foto zu lesen: „Geboren 1945, früher Star der deutschen Nationalmannschaft und von Bayern München.“

■ Das Leben: Müller ist 1955 geboren, wächst auf dem elterlichen Hof in Schwaben auf, macht eine kaufmännische Lehre, studiert Wirtschaftspädagogik. Danach Promotion. Thema: Die Junge Union Bayern und ihr Beitrag zur politischen Jugend- und Erwachsenenbildung. Zugleich ist er JU-Vorsitzender. Nach fünf Jahre im Europäischen Parlament zieht er 1994 in den Bundestag ein.

■ Das Besondere: Während des Studiums Mähdrescherfahrer. Bis 2012 war er Präsident des deutschen Heilbäderverbandes.

VON HANNA GERSMANN

Man kann im Heute und mit seiner Nähe zur Wirtschaft anfangen. Erstaunlich sind aber auch seine Ansichten von gestern. Gerd Müller (CSU), neuer Bundesentwicklungsminister, 58 Jahre alt. Er hat die Todesstrafe für Rauschgifthändler gefordert. Der Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks kippt die Nachricht aus dem „Rundschau-Telegramm“, sagt, Politiker müssten gelegentlich vor ihren Dummheiten geschützt werden. Das war 1989, Müller war Vorsitzender der Jungen Union Bayerns.

Ein Jahr zuvor knöpft sich Franz Josef Strauß den damals 33-Jährigen vor. Er sei „pubertär und lausbübisch“. Die jungen Christsozialen wollten den Alten mit einer eigenen Liste in den Kommunalwahlen Konkurrenz machen. In der Folge, so schrieb damals süffisant der Spiegel, sei Müllers Aufstieg vom „Aushilfspressesprecher“ zum „Ministerialbeamten auf Lebenszeit“ im bayerischen Wirtschaftsministerium im Landtag öffentlich diskutiert worden. Müller sei dann „lieber für eine Weilchen auf ‚Urlaub von der Politik‘ “ gegangen.

Das Weilchen ist vorbei, Müllers CSU-Karriere geradlinig geworden. Trotzdem hat niemand mit ihm als Minister gerechnet. „Gerd wer?“, fragen Außenstehende. Neben dem Oberbayern Dobrindt (Verkehr) und dem Franken Friedrich (Ernährung) bedient der Schwabe den CSU-Regionalproporz. Zudem: Katholik, verheiratet, zwei Kinder. Leute, die ihn in seinem bisherigen Job beobachtet haben, darunter hohe Beamte, halten die Personalie dennoch für „den größten Skandal der Regierungsbildung“.

Sie sagen nichts öffentlich, aber hinter vorgehaltener Hand. Einer: „Der hat bisher nur Schweinefleisch und Mähdrescher ins Ausland verkauft.“ Ein anderer: „Der denkt nur an die deutschen Unternehmer.“ Oder: „In so einem diplomatisch sensiblen Umfeld – was soll der da?“

Müller, den Horst Seehofer vor acht Jahren als parlamentarischen Staatssekretär zu sich ins Agrarministerium holte, sieht das freilich anders. Er wollte sich zwar nicht in dieser Zeitung äußern. Im Bayerischen Rundfunk hat er aber bereits aufgezählt, höflich lächelnd: fünf Jahre Europaabgeordneter; bis 2005 außenpolitischer Sprecher der CSU; im Agrarministerium die letzten Jahre verantwortlich für die Außenwirtschaft und Welternährung.

Und er werde sich kümmern: um Arbeit für Menschen in Afrika, damit sie nicht zu „Millionen zu uns kommen“, um „Welternährung“ und um die „Milleniumsziele“, die sich die Staatengemeinschaft schon zur Jahrtausendwende gesetzt habe.

Die Zahl der Hungernden bis zum Jahr 2015 im Vergleich zu 1990 zu halbieren, das ist eines dieser Ziele. Daran weiterzuarbeiten und an einer Nach-2015-Agenda, ist das große entwicklungspolitische Projekt. Bisher hat sich zu wenig getan. Das hat auch mit Müller zu tun.

Eigentlich halten parlamentarische Staatssekretäre die Verbindung zu den Abgeordneten. Müller hat das gemacht. Aber nicht nur. Er bildete zugleich einen engen Zirkel von Vertrauten, im Ministerium „Küchenkabinett“ genannt, und verfolgte seine persönliche Agenda – weltweite Erfolge deutscher Firmen, Molkereien, Schlachtkonzerne oder Hühnerzüchter.

Dagegen spricht zunächst nicht viel. Müller war der Mann für die „nationale Exportstrategie“. Er reiste nach Russland, nach Afrika, und er kam an: Allein in diesem Jahr stiegen die Agrarausfuhren um gut 6 Prozent im Vergleich zu 2012. Nur, Entwicklungsexperten halten von dieser Außenwirtschaft in der Regel nur eines: nichts.

Denn die subventionierten deutschen Exporteure drängen mit ihrer pulverisierten Milch mit ihren tiefgefrorenen Hühnerschenkeln die kleineren Bauern in den Entwicklungsländern vom Markt. Müller wird schon bald mit dem Vorwurf zu kämpfen haben, zu nah dran zu sein an der deutschen Wirtschaft.

Zu wenig Distanz – das sagte man schon seinem Vorgänger nach, dem FDP-Politiker Dirk Niebel. Entwicklungshilfe muss auch deutschen Interessen dienen. Niebel vertrat das offen. Er machte sich damit nicht viele Freunde, war ohnehin umstritten, weil er zuhauf alte FDP-Kollegen in Ämter hievte. Es könne nur besser werden, heißt es nun im Agrarministerium.

Dort sind viele froh, dass Müller weg ist. Dem promovierten Wirtschaftspädagogen wird nachgesagt, schon mal „wirsch“, „patzig“, „unsouverän“ zu sein. Mit anderen Auffassungen könne er „nicht umgehen“. Doch nach Niebel, hört man, habe jeder eine Chance verdient.

„Müller kann das Amt mit Elan angehen“, sagt auch Marita Wiggerthale von der Hilfs- und Entwicklungsorganisation Oxfam. Die CSU höre bestimmt nicht gerne, wie es jetzt heißt, dass sie bei der Ressortverteilung zurechtgestutzt worden sei. Dem könne sie entgegentreten, wenn Müller dem Ministerium neue Schlagkraft verleihe.

Müller ist nicht der erste CSU-Entwicklungsminister. Carl-Dieter Spranger (1991 bis 1998) wurde einst von Parteichef Theo Waigel gelobt, weil allein im Jahr 1996 rund 26 Prozent der Aufträge des Bundesentwicklungsministeriums nach Bayern gegangen waren.

Als Horst Seehofer am letzten Sonntag die Namen der CSU-Minister verkündete, sagte er über Müller: „Der Minister kriegt da ganz große Aufträge.“ Und: „Wir haben da starke Interessenvertreter für unsere Anliegen.“ Es entwickelt sich weiß-blau.