„Schwul“ sagt man nicht

„Wir brauchen den Druck Westeuropas“ sagt der weißrussische Aktivist Viachaslau Bortnik. „Wir brauchen den elektrischen Stuhl“, sagt die russisch-orthodoxe Kirche

Paraden zum Christopher-Street-Day quer durch die Innenstadt – in ihrem Land ist daran nicht zu denken, sagen Slava Sementsov und Viachaslau Bortnik aus Minsk, die diese Woche in Bremen und Oldenburg über die Situation Schwuler und Lesben in Weißrussland informierten.

Slava Sementsov engagiert sich seit sechs Jahren bei Vstrecha ( „Treffen“), einer AIDS-Präventionskampagne in Weißrussland. Das Wort „schwul“ darf in seinen Broschüren nicht auftauchen, erzählt er. Erlaubt sei höchstens die Formulierung „Männer, die Sex mit Männern haben“ (MSM). Die Negation und Sanktionierung schwulen Lebens hat weitreichende Folgen: Nur knapp sieben Prozent der MSM können laut UNAIDS in Weißrussland durch Präventionsprogramme erreicht werden. Als Grund für die Unterversorgung sieht Sementsov einerseits die mangelnde Unterstützung der Regierung, andererseits auch die Angst der Männer, sich vor ihrem sozialen Umfeld und nicht zuletzt ihrem Hausarzt als schwul zu outen. Theoretisch stehen seinem Verein eine Million US-Dollar zu Präventionszwecken zur Verfügung. Praktisch muss jede Veröffentlichung, jede Kondom- und Gleitgelverteilung vom Gesundheitsministerium genehmigt werden.

Eine heikle Angelegenheit, da die Gesundheitsministerin Ljudmila Postoyalko, Schwiegermutter des Präsidenten Alexander Lukaschenko, für Homosexuelle wenig Sympathien hat. Das Bild eines nackten Mannes auf der Homepage von Vstrecha habe sie zum Anlass genommen, Gelder für Gleitmittel auf Wasserbasis zu kürzen, erzählt Sementsov. Dabei können fettbasierte Gleitgele Kondome porös machen.

An feste Feiertage wie den CSD ist bei solchen Verhältnissen gar nicht zu denken. Darum sei eine Thematisierung der Diskriminierung Homosexueller in Osteuropa bei hiesigen CSDs umso wichtiger, sagt Arno Oevermann vom Zentrum für Schwule und Lesben Rat&Tat in Bremen. „Die Arbeit vor Ort können wir leider nicht abnehmen“, sagt er. „Aber wir können auf die dortigen Missstände aufmerksam machen. In der Regel sind ausländische Prominente bei Veranstaltungen Homosexueller im osteuropäischen Ausland sogar ein Schutz, da es eine höhere Medienpräsenz gibt.“

Homosexualität ist seit 1991 in der ehemaligen Sowjet-Republik keine Straftat mehr. Allerdings fordert die russisch-orthodoxe Kirche noch heute den elektrischen Stuhl für Schwule und Lesben. Wo müssen Organisationen wie Vstrecha also ansetzen, wenn sie Vorurteile abbauen wollen? „Zunächst müssen Heterosexuelle toleranter werden, damit Schwule und Lesben sich nicht mehr gezwungen sehen, Scheinehen einzugehen und Doppelleben zu führen“, sagt Bortnik.

Bevor Bortnik und Sementsov nach Deutschland gereist sind, wurden sie von der Polizei verhört und haben Drohbriefe erhalten. Ihnen wird Kritik an der Regierung als Straftat vorgeworfen. Angst vor der Rückkehr haben sie jedoch keine. „Wenn wir uns von den Bedrohungen einschüchtern ließen, hätten wir unsere Arbeit schon längst aufgeben müssen,“ meint Bortnik. „Aber um die Lage Schwuler und Lesben bei uns zu verbessern brauchen wir den Druck Westeuropas.“ Jessica Riccò