Ein Boden, wie noch keiner war

Das Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück ist ein herausragendes Museum und dürfte als Daniel Libeskinds Erstlingswerk einen Platz in der Architekturgeschichte sicher haben. Dass auch sein Estrich einzigartig ist, hätte man ohne einen kuriosen Zivilprozess jedoch kaum erfahren

Ein Urteil ordnet in Schwarz und in Weiß, oben und unten. Der Fußboden im Nussbaum-Haus macht so ziemlich das Gegenteil

aus OsnabrückBENNO SCHIRRMEISTER

An manchen Stellen glänzt er glatt und schwarz wie ein polierter Onyx. Dann wieder wellt er sich und huckelt und wird körnig: Hier geht es um einen Fußboden. Nicht irgendeinen. Sondern den Fußboden des Osnabrücker Felix-Nussbaum-Hauses.

Zum Wesen eines Fußbodens gehört es normalerweise, dienstbar im Hintergrund zu stehen. Aber das Nussbaum Haus ist bekannt dafür, dass es Sehgewohnheiten verstört und die üblichen Gewichtungen außer Kraft setzt. Besonders momentan, wo er doch im Zentrum eines Rechtsstreits steht, der Fußboden. Nicht der des Museums, sondern eine Kopie. Aber die ist nicht zugänglich, sie befindet sich in einem Privathaus in Melle – und ist nur interessant, weil sie ein Versuch war, den Nussbaum-Boden nachzuahmen. Ein gescheiterter Versuch, behauptet der Kläger. Das sieht der beauftragte Handwerker anders. Er sagt sogar: „Mein Boden ist besser als der im Nussbaum-Haus.“ Für ihn geht es hier nämlich auch um die Ehre.

Wie man auf die Idee kommt, etwas zu kopieren, das lässt sich nur am Original feststellen. Man wird sich also noch einmal über den Estrich in Daniel Libeskinds erstem Museumsbau beugen müssen, um zu verstehen; wird die Fläche absuchen, ihre mähliche Wandlung zum riffeligen Relief, mit dem Auge erst, mit den Fingern dann, rasch, solange der Wärter nicht herschaut. An den Rändern fühlt sie sich sandig an und spröd’, in der Mitte mal stumpf, mal seidig: eigenartig.

Nicht, dass man der erste wäre, der diese Eigenarten bemerkt hätte. Libeskinds Nussbaum-Haus ist schon 1998 eröffnet worden, ein Jahr bevor der Architekt mit dem Jüdischen Museum in Berlin endgültig zum Weltstar wurde. Etliche Aufsätze widmen sich dem Bau, und auch die erwähnen immer die Fußbodengestaltung. Dort wird allerdings mehr das Gefälle im „oberen Brückenraum“ gewürdigt. Der ist den späten Arbeiten des 1944 in Auschwitz ermordeten jüdischen Malers aus Osnabrück gewidmet, und das Gefälle entfaltet, wie es in Thorsten Rodieks Buch „Museum ohne Ausgang“ heißt, eine „fast schon beängstigende Sogwirkung“ hin zu der Wand, an der das letzte Ölgemälde hängt. „Triumph des Todes“ lautet sein Titel, oder „Die Gerippe spielen zum Tanz“, und wer sich bis dorthin ziehen lässt, der hat den Eindruck, schreibt Rodiek, dass er „tatsächlich den festen Boden unter den Füßen verliert“. Denn hier ist kein Estrich mehr, sondern ein Gitter, und durch das stürzt der Blick eine Etage tiefer: Bei vier Metern Raumhöhe verursacht das ein Drücken in der Magengegend. Also suchen die Augen den rettenden Grund. Und finden: den Fußboden. Dessen filigrane Lineaturen scheinen schon wieder alle Festigkeit zu leugnen: lauter kleine Löchlein, mit kaum einen halben Stecknadelkopf Durchmesser, manche etwas größer – wie Blasen im Schaum.

Thorsten Rodiek ist heute Leiter der St. Annen-Kunsthalle in Lübeck. Seinerzeit war er Museumsdirektor in Osnabrück, und schon bei der Eröffnung, so erinnert er sich, habe sich der Berliner Architektur-Prof und Jury-Vorsitzende Josef Paul Kleihues begeistert nach der Beschaffenheit des Estrichs erkundigt. Auch habe „eine ganze Gruppe aus den Niederlanden“ den Rohbau inspiziert und „nur Augen für den Fußboden“ gehabt. Noch immer, bestätigt die jetzige Direktorin Inge Jaehner, gebe es „häufig Anfragen nach der Estrich-Firma“. Die hat ihren Sitz in Aachen und wehrt konsequent jede Bitte ab, das Osnabrücker Kunststück zu wiederholen. Mit gutem Grund, wie das Verfahren vor dem Amtsgericht zeigte: Der Handwerker wartet seit zwei Jahren auf die Begleichung von Auslagen und Arbeit, 7.800 Euro, nicht wenig für einen Kleinbetrieb, zumal, der Architekt, wie der Estrichleger erzählt, mit dem Bauherrn befreundet sei – „die Aufträge von dem bleiben jetzt weg.“ Der Bauherr dagegen klagt, dass er die ganze Zeit seinen restaurierten Kotten nicht hat beziehen können. Vergleichsmöglichkeiten? „Wir sind bei Klage und Widerklage“, beantwortet sein Anwalt die Pflichtfrage des Richters, „weiter könnten wir nicht auseinander liegen.“

Ein Urteil ordnet in Schwarz und in Weiß, es sagt, wer obsiegt hat. Und wer der Unterlegene ist. Das ist so ziemlich das Gegenteil dessen, was der Fußboden im Nussbaum-Haus macht. Unmerklich wechselt die Farbe vom Tiefschwarz bis zum grünstichigen Braun-Grau, das dann, wieder, übergangslos in sattes Anthrazit springt. Anderswo wiederum ziehen weißliche Spritzer unvollkommene Kreise: Man könnte an Explosionen denken, die, in astronomischer Ferne, ein dunkles Firmament erhellen, an Meteorenschauer und neblige Schlieren. Man könnte sich auch an eine zerplatzte Milchflasche erinnern, ohne Scherben freilich, aber mit Inhalt, der sich langsam, unregelmäßig und ohne die Farbe zu verlieren über die Flächen verteilt hat. Und eingetrocknet ist.

Das wirkt nicht nur ungeplant. Das ist es auch: „Im Grunde war der Fußboden missglückt“, erinnert sich Rodiek. „Ein Zufallsprodukt“, sei die eigenwillige Struktur des Estrichs, sagt auch Jaehner, und darauf werde jeder Interessent hingewiesen. Die Behauptung, der Baumangel werfe, so hatte die Lokalzeitung geunkt, „ein makabres Licht“ auf die Architektur, kann sie nicht nachvollziehen: „Warum das denn?“ Schließlich habe man sich ja aus freien Stücken dafür entschieden, den Boden so zu belassen – „weil er schöner war als geplant“. Wie geplant seine Entdeckung erfolgt, sagt tatsächlich wenig über den Wert eines Werkstoffes aus: Ölfarben, Porzellan, Teflon oder Ziegenkäse in Asche – alles Unfälle. Genau wie der Nussbaum-Estrich.

Der private Bauherr, der nun als Kläger auftrat, hat es gewusst. Er hat gewusst, dass er einen schwer reproduzierbaren Fußboden bestellt hatte. Bei etlichen anderen Firmen hatte er angefragt – keiner wollte zusagen. Bis auf den Handwerker, der jetzt sein Kontrahent ist, und sich, selbstverständlich abgesichert hatte: „Die Optik war bewusst ausgeschlossen“, sagt er. Also müssten ihm handwerkliche Mängel nachgewiesen werden. Die sieht die Klägerseite in der Versiegelung: Sie glänzt zu stark. Dass der Betonboden selbst handwerklich solide gearbeitet sei, bestätigt im Zeugenstand sogar der Estrichleger-Meister aus Westfalen, der jetzt die Nachbesserungen an der Arbeit seines Konkurrenten ausgeführt hat. Er hat, zur Zufriedenheit des Bauherrn, eine Schicht Wachs abgeschliffen: „Mal hier was nachbessern, mal da“, sagt er nach der Verhandlung in den Gerichtsfluren, „das hatte alles keinen Zweck.“ Jetzt sei alles hübsch – „und vorher sah es einfach scheiße aus.“ Der unabhängige Gutachter hingegen bezeichnet die Kopie als „gelungen“: Und niemand könne bei einem „Zufallsprodukt sagen, welche Wirkung mehr oder weniger Wachs hat“. Klar gewesen sei nur, dass der Glanz durchs Abschleifen zu beseitigen war.

Am 3. Juli wird das Urteil verkündet. Aber wozu. Die wichtigste Erkenntnis ist schon gewonnen: Der Fußboden im Felix Nussbaum-Haus wird kein schnöder Prototyp einer Serie, sondern bleibt, der Verfügbarkeit entrückt, ein Wert an sich. Ein Museumsstück. Aber warum schwärmen. Der Gutachter hat es doch auf den Punkt gebracht: „Dieser Fußboden“, so lautete die Aussage des Fachmanns, „ist ein Unikat.“