Männer zu Maiskörnern

Oral History mit Spiegelröcken und Wanderschuhen: Die Südafrikanerin Wiebke Holm spielt bei den „Weibblicken“ in der Schaubude ihr assoziatives „Theater der Dinge“

Die Bühne ist dunkel. Ein Feuerzeug klickt, eine Wange leuchtet flackernd. „Am Anfang war die Frau“, sagt eine Stimme, „und das Feuer. Und sie war einsam.“ Die Flamme erlischt, die Stimme verstummt. Erneutes Aufflackern: „Eines Tages fand sie ein Korn. Sie warf es ins Feuer. Und heraus sprang der Mann.“ Als die Scheinwerfer aufstrahlen, ist die Bühne leer – bis auf ein wagenradgroßes, metallenes Ding, ufoartig. Statt kleiner grüner Männchen schält sich eine Frau aus den elastischen froschfingerartigen Streben. Auf ihrer Hüfte wird das gestrandete Flugobjekt plötzlich zum silbernen Reifrock, der sich beim Tanzen glitzernd um sie dreht.

In ihrem ersten Soloprojekt „Spiegelspiel“ verarbeitet Wiebke Holm die Geschichten ihrer Kindheit. Sie vermengt die christliche Genesis mit alten nordischen Märchen und den Legenden der Khoi-San, der südafrikanischen Buschmänner. Die Puppenspielerin aus Südafrika ist das Kind deutscher Einwanderer, ihre Verwandten sind über die ganze Welt verstreut, wie die Maiskörner über ihrem silbernen Globusrock auf der Bühne.

Wiebke Holm erzählt von „Muttersmüttern und Vatersvätern“, von Liebe auf den ersten Blick, vom Weggehen und Wiederkommen. Im Spiel mit dem Parabolspiegel, der ihrer Mutter als Solarherd diente, reflektiert sie nicht nur die eigene Ortlosigkeit zwischen den Kontinenten und Kulturen. Über den Spiegel fokussiert sie auch die weibliche Perspektive ihrer Lebensgeschichten und Legenden, er ist Auslöser und Mittelpunkt aller Erzählstränge.

„Am Anfang ist das Ding“, sagt Wiebke Holm über ihre Arbeit, „die Geschichten kommen dann ganz von allein.“ Dem Objekttheater in weiblicher Regie widmet die Schaubude mit „Weibblicke II“ jetzt ein ganzes Wochenende. Die vier ausgewählten Stücke sind allesamt Inszenierungen, an deren Anfang keine narrative Idee stand, sondern die fließenden Assoziation zu einem Gegenstand. Das sogenannte „Theater der Dinge“ füllt nicht angefertigte Puppen oder Marionetten, sondern Fundstücke des Alltags mit Leben. Diese Dinge, die ihre Bedeutung als Gebrauchswert mit sich herumtragen, stehen als gleichberechtigte Spielpartner neben den Schauspielerinnen.

In „Luftpost an heute“ ist es das Fehlen einer gemeinsamen Sprache, das die drei Frauen auf der Bühne durch Gegenstände kommunizieren lässt. Eine Koreanerin (Jae Hee Moon), eine Deutsche (Annika Pilstl) und eine Südafrikanerin (Wiebke Holm) reden miteinander und von sich über die Dinge, die sie am Leib tragen. In diesem Fall sind es drei verschiedene Paar Schuhe, die zu Statthaltern ganzer Kulturen und zu Chronisten einzelner Biografien werden.

Die derben Gummistiefel an den Füßen der bayrischen Bäuerin erzählen von harter Arbeit und frühem Aufstehen, die festen Wanderschuhe der Südafrikanerin sollen die Trägerin vor wilden Tieren im Dschungel schützen. Die zarten koreanischen Pantoffeln sind ihrer Besitzerin zu klein, ihre Füße nicht der Tradition gemäß abgebunden.

Die stehengelassenen Schuhe werden zum Sinnbild des selbstbestimmten Aussteigens, des Abweichens von ausgetretenen Wegen und vorgefertigten Lebensläufen. „Wir verfremden das Material, verdichten es sozusagen“, erklärt Wiebke Holm. Und nach kurzem Überlegen fügt sie hinzu: „Aber eigentlich erzählen die Dinge von ganz allein. Wir helfen nur ein bisschen nach.“ LEA STREISAND

Weibblicke II – Geschichten von Frauen über Frauen, 17. & 18. 6., 20 Uhr; Schaubude, Greifswalder Str. 81–84