HERMANN-JOSEF TENHAGENHAUSHALTSGELD
: Rettung für den Mann mit der blutigen Hand

Wenn ein Mensch in Not ist, wird ihm geholfen. Wenn Arme in Not sind, wird ihnen das Geld gekürzt. Warum die Bundesregierung so verfährt? Weil Ausgegrenzte nicht wählen gehen

Er sieht aus, wie wir uns den Mann mit der blutigen Hand aus den schrecklichen Kinderwitzen immer vorgestellt haben: Platzwunde am Kopf, angetrunken, hilflos sein Fahrrad schiebend. Und er sagt auch noch: „Ich bin der Mann mit der blutigen Hand.“ Wir sind inzwischen erwachsen, lassen uns nicht erschrecken und rufen geistesgegenwärtig den Krankenwagen. Der kommt nach fünf Minuten. Wir schieben das Rad des Verletzten nach Hause, klingeln seine Freundin aus dem Bett.

Solche Hilfe sollte selbstverständlich sein. Sie fragt nicht nach der Verantwortung des blutenden Radfahrers; wie viele Bier er getrunken hatte, hat uns nicht interessiert. Auch nicht, dass wir seinetwegen später nach Hause gekommen sind.

Ganz anders sieht das die Spitze der Republik. Die stellt nach dem Unfall der griechischen Mitbewohner im europäischen Haus zunächst fest, dass die ja selbst schuld seien und dass man nicht einfach jedem helfen könne. Vor allem wo man sich doch gerade geschworen habe, bis 2015 radikal zu sparen.

Im nächsten Schritt beschließt die Regierung dann: Wenn man den griechischen „Armen“ und anderen Nachbarn hilft, geht das auf Kosten der hiesigen „Armen“. Weil man sich nun mal zu sparen geschworen hat, die Kosten für ungebändigte Finanzmärkte aber steigen, muss am Sozialstaat gespart werden. Am besten bei den Hartz-IV-Empfängern, die gehen eh nicht wählen.

Und bei Langzeitarbeitslosen. „Neujustierung von Sozialleistungen“ nennt das die Kanzlerin in ihrem Eckpunktepapier und trägt sich damit in die Kandidatenliste für das Unwort des Jahres ein. Bis ins Detail ist die Sprache dieser Regierung verlogen. „Bei der Bundesagentur für Arbeit geht es darum, sie durch erweiterte Handlungsspielräume in die Lage zu versetzen, zielgenauer fördern zu können. Wir werden daher sogenannte Pflichtleistungen in Ermessensleistungen umwandeln.“ Konkret liest man das im dazugehörigen Zahlenwerk: Zwei Milliarden Euro werden gekürzt, unter anderem bei der Weiterqualifizierung von Arbeitslosen.

Ganz wohl ist den Protagonisten, insbesondere in der CDU, dabei nicht. Es ist schließlich selbst der eigenen Klientel kaum zu vermitteln, dass die Mittel für arme Familien, etwa das Elterngeld bei Hartz-IV-Empfängern, und die Weiterbildung von Langzeitarbeitslosen gekürzt werden sollen, weil die Regierung auch drei Jahre nach Beginn der Krise die Raubtiere der Finanzmärkte nicht eingefangen hat.

Finanzminister Wolfgang Schäuble stöhnt, man könne eine soziale Schieflage des Sparpakets mit Einsparungen eben nicht beseitigen. Und sogar der Wirtschaftsflügel der CDU meint, eigentlich sei eine Erhöhung der Einkommensteuer für Wohlhabende notwendig. Vom Widerspruch, dass Weiterbildung für Arbeitslose vom Schutzschirm der Kanzlerin nicht geschützt wird, habe ich noch gar nicht gesprochen.

Auf den Alltag der Männer im Krankenwagen hat diese Haltung noch nicht abgefärbt. Sie packen an und sorgen dafür, dass die Blutung unseres Radlers gestoppt wird und der Patient den Arzt sieht. Hier geht die Geschichte noch mal gut aus. Wie in unserem Kinderwitz damals. „Hier ist der Mann mit der blutigen Hand. Hätten Sie mal ein Pflaster für mich?“

Der Autor ist Chefredakteur von Finanztest Foto: Karsten Thielker