Zweckbündnis auf Zeit

SCHWARZ-GRÜN In Hessen billigen Grüne und CDU auf Landesparteitagen ihren Koalitionsvertrag – trotz mulmiger Gefühle und unter Protest von Fluglärmgegnern

„Was ist denn die Alternative“, fragt der grüne Landeschef Al-Wazir seine Kritiker

VON ARNO FRANK

FRANKFURT/M. taz | Chaos in Frankfurt am Main: Statt der angekündigten 680 drängten am Samstag 1.065 der insgesamt 5.400 Mitglieder der Grünen in Hessen in das Casino der Stadtwerke. Zu viel für den Hausmeister, der aus Brandschutzgründen rund 100 Menschen den Zutritt verweigerte und damit die demokratische Entscheidung über den historischen Koalitionsvertrag mit der CDU gefährdete. Grünen-Chef Tarek Al-Wazir verhandelte daraufhin persönlich mit dem Hausmeister über einen Kompromiss. Die letzten Stuhlreihen wurden rausgetragen, die restlichen Parteimitglieder durften hinein.

Tumultuös war es zuvor schon auf der Straße vor dem Gebäude zugegangen. Zwischen 300 und 450 Fluglärmgegner machten dort ihrer Wut darüber Luft, dass im Koalitionsvertrag weder eine absolute Nachtruhe von ausreichender Länge, noch einen Baustopp für das geplante Terminal 3 oder eine Schließung der Nordwest-Landebahn vorgesehen ist.

Auf der Bühne schimpft eine Gewerkschafterin, die Grünen seien „in der schwarzen Soße abgesoffen“. Auf einem Plakat ist „Bouwazir? Nein, danke!“ zu lesen, auf einem anderen wird vor „illegalen chemischen Streifen“ am Himmel „für geheime Wettermanipulationen“ gewarnt. Fluglärm kann offenbar wunderlich machen: „Heuchler“ steht auf einem Transparent; auch in arabischer Schrift, damit der Al-Wazir das auch versteht.

20 Fluglärmgegner dürfen hinein in den Saal, für sie spricht der besonnene Koordinator Dietrich Elsner von einem „miserablen“ Koalitionsvertrag, der lediglich eine „Lärmverschiebung“ brächte. Danach erklärte in einer knapp halbstündigen Rede der scheidende Landesvorsitzende und künftige Minister Tarek Al-Wazir erneut, warum er den Vertrag guten Gewissens zur Abstimmung vorlege. Für ein Bündnis mit der SPD hätte es eben nicht gereicht, Rot-Grün-Rot sei am Widerstand der Linkspartei und deren Landesvorsitzenden gescheitert: „Ulrich Wilken hat zu allem ‚Njet‘ gesagt!“ Also sei es darum gegangen, eine Große Koalition wie im Bund zu verhindern. Er verstehe die mulmigen Gefühle vieler Parteifreunde, ausgerechnet mit der hessischen CDU zu koalieren: „Ich hatte und habe sie auch.“ Es handele sich um ein „Zweckbündnis auf Zeit wegen eines schwierigen Wahlergebnisses“.

Al-Wazir verwies auf grüne Inhalte im Vertrag, von der geplanten Verdoppelung erneuerbarer Energien auf 25 Prozent, über das Verbot von Fracking bis zur Änderung der Gemeindeordnung, damit Kommunen wieder eigene Stadtwerke gründen könnten. Lehrerstellen würden entgegen früherer Befürchtungen nicht gestrichen, die Unterstützung für Einrichtungen wie Frauenhäuser wieder aufgenommen, und die mit der CDU vereinbarte Ganztagsbetreuung an den Grundschulen sei eine „bildungspolitische Revolution“.

Mit Blick auf den Frankfurter Flughafen legte er erneut die geplanten Maßnahmen dar. Einfach würde es nicht werden, aber: „Was ist denn die Alternative?“ Besonderen Applaus erntete Al-Wazir für seine Bemerkung, anders als in „gewissen Leitartikeln“ zu lesen wolle er „nicht die CDU modernisieren, sondern die Landesregierung“.

Die Diskussion dauerte noch bis in den Nachmittag, aber schließlich stimmten die Grünen mit einer Mehrheit von 74,24 Prozent dem Koalitionsvertrag zu. Bei der CDU war das am gleichen Tag wesentlich fixer gegangen. In Rosbach vor der Höhe im Taunus stimmten 100 CDU-Delegierte per Handzeichen ebenfalls für den Vertrag – einstimmig. Abschließend wählten sich die Grünen mit Wahlkampfmanager Kai Klose und Daniela Wagner einen neuen Vorstand.