„Wir wissen fast nichts über den Stoff“

Peter Kleeschulte vom sauerländischen Gesundheitsamt hofft auf neue Studien über das vergiftete Trinkwasser

taz: Herr Kleeschulte, trinken Sie noch Kranwasser?

Peter Kleeschulte: Ja, sicher. Es kommt aber doch auch sehr darauf an, in welchem Stadtteil von Arnsberg sie wohnen. Der so genannte Möhnebogen ist am stärksten verunreinigt. Hier lagen die Werte für perfluorierte Tenside (PFT) über 560 Nanogramm pro Liter, der Richtwert liegt aber bei 300.

Ihre Behörde sagt, das Trinken des Leitungswassers sei unbedenklich. Trotzdem sollen Kleinkinder nur abgepacktes Wasser konsumieren. Wie passt das zusammen?

Ein Kleinkind nimmt pro Kilogramm Körpergewicht etwa zehn mal soviel Flüssigkeit auf wie ein ausgewachsener Mensch. Da ist die Belastung natürlich auch wesentlich höher. Für Erwachsene besteht nach allen bisherigen Kenntnissen keine akute Gefahr.

Keine akute – aber eine langfristige Gefahr?

Wir wissen es nicht. Akut treten jedenfalls keine körperlichen Reaktionen auf. Über den Stoff ist fast nichts bekannt. Aber wir können auch nicht verschweigen: In Tierexperimenten stellte sich PFT als karzinogen heraus, also als krebserregend. Für welche Dosis und welchen Zeitraum der Einnahme das möglicherweise zutreffen könnte, ist aber auch noch nicht klar.

Wäre es bei einer so großen Unsicherheit nicht angebracht, alle Menschen zu einem Verzicht auf das Trinken des Leitungswasser aufzurufen?

Das wäre die Sache des Bundesumweltministeriums gewesen, dieses hat aber auch nur den Verzicht für Kleinkinder empfohlen. Wir versuchen ja alles, um das Risiko qualifiziert abschätzen zu können, wir haben alle möglichen Gesundheitsbehörden und Wissenschaftler informiert, die Hygieneinstitute in Bonn und Gelsenkirchen. Das alles ist sehr zeitaufwändig: Studien bringen nicht von heute auf morgen Ergebnisse. Ich hoffe aber dennoch, nach der morgigen Sitzung klarer zu sehen.

Können die Wasserwerke den Stoff nicht wieder kurzfristig entfernen?

Auch darüber wissen wir noch nichts. Wir haben versucht, mit Aktivkohle die Tenside heraus zu filtern, ob das klappt, werden wir erst noch sehen. Andere glauben, mit einer so genannten Nano-Filtration könnten die kleinen Teile gebunden werden.

Lange Zeit galt die Entwicklung der Ruhrqualität als Erfolgsgeschichte. Wird sie bald wieder als Drecksfluss gelten?

Ich hoffe nicht. Im Moment stehen wir wirklich am Anfang aller Fragen, die uns diese drei Buchstaben – PFT– aufgegeben haben. Aber die Ruhrstory ist und bleibt erfolgreich, sie wurde von einer Kloake zum Fischgewässer. Hier im Sauerland ist die Ruhr glasklar, da können Sie überall bis zum Grund sehen. Ich hoffe, das täuscht nicht.

INTERVIEW: ANNIKA JOERES