BERLIN - VON KENNERN FÜR KENNERDie freundlichsten Menschen der Welt – sind Berliner

Jan Feddersens Gastro-Kritik zur WM: Am schönsten ist WM-Schauen dort, wo es nicht zu schau ist, nicht zu voll, nicht zu schlecht besucht

Kapitalismus ist hart, für Gastronomen besonders. Wer keinen Bildschirm aufstellt, auf dem WM-Spiele übertragen werden, musste lernen: Die Gäste gehen woanders hin. Treuloses Pack?

Es heißt jedenfalls, dass inzwischen selbst Bäckerläden (Tegel), Supermärkte (Rudow, Schmargendorf, Pankow) oder Delishops (Charlottenburg, Neukölln) wenigstens kleinste TV-Geräte aufgestellt haben, manchmal (Yorckstraße, Friedenau) mit liebevoll konstruierten Pappdächern überdeckt, damit kein Sonnenschein die Bildqualität trübt. Man kann sich also in der Stadt gut bewegen, irgendwo ist immer eine Meute, die einen auf dem letzten Stand hält.

Kommen wir zu den Läden, in die man sonst geht, kiezübergreifend also. Besonders hübsch ist die Maaßenstraße am Nollendorfplatz ausgerüstet – alle Kneipen und Cafés mit Bildschirmen, auch das Berio, wo Schwuppens sich versammeln. Im Tiergarten mag Ruhe finden, wer die Fanmeile grässlich findet – und findet im Café am Neuen See auch WM-Übertragungen. Man bleibt freilich etwas unberührt: Der mitgroovende Ton der Gäste klingt eher gelangweilt.

Im Schleusenkrug ist die Leinwand im Souterrain, nah am Wasser: Wie ein Reservat nur. Die Kulturbrauerei zeigt die Prenzlauer Jeunesse dorée auf der Höhe der Zeit: Man goutiert Fußball wie guten Wein, sagt ah & oh oder gar nix und hält feinfühlig zu Brasilien, die Volxbühnenerziehung, das Credo von den edlen Wilden trägt Früchte.

In die Arena am Reichstag kommt niemand ohne vorbestellte Karte. Die da waren, sagen: Nix für echte Fans. Und rauchen dürfe man auch nicht. Die Waldbühne bietet neben der Übertragung noch Kultur – und hat einen Eintrittspreis von 20 Euro zur Folge. Leere Ränge sind die Strafe, kein Wunder.

Im Sony-Center trifft man die meisten Gäste aus dem Ausland, die hier bis zur nächsten Partie Zeit überbrücken. Aber es ist zu voll, sagen die einen; andere, dass man keine Luft bekomme. Am Bundespressestrand ist auch gut gucken – aber, könnte ja Geschmackssache sein, man kommt allzu bequem in Liegestühlen in die Horizontale: Fußball zu gucken ist aber nix für die Körperhaltung des Chillens, Leidenschaft geht nur im Stehen, nötigenfalls, wie in den meisten Cafés und Restaurants, im Sitzen.

Im Grunde, das ist die Summe der unvollständigen Recherche, ist es am schönsten, dorthin zu gehen, wo es nicht zu schau ist, nicht zu voll, nicht zu schlecht besucht. Man kommt ins Gespräch, verpasste Chancen, auf den Kopf gestellte Spielverläufe (etwa Frankreich – Südkorea) sind Eisbrecher. Der Berliner, sagen zwei koreanische Männer, sind die freundlichsten Menschen, die sie je außerhalb ihres Landes kennen gelernt haben.

WM schauen: praktisch überall