der „homo precarius“ lebt mit der unsicherheit. aber wie? heute: daniel, 30, künstler und gelegenheitslehrer
: Jede Leinwand wird fünf- bis sechsmal genutzt – das ist Stil à la Existenzangst

Daniel kann gerade noch das Kennzeichen aufschreiben, bevor das Auto um die Ecke braust. Vier seiner besten Bilder hat er soeben über die Mitfahrzentrale nach Hamburg geschickt. Dort soll demnächst seine erste Ausstellung eröffnet werden. Der 30-Jährige, der vor sechs Jahren aus Bolivien nach Berlin kam, steht auf der Straße vor seiner Wohnung in Prenzlauer Berg und schaut ein wenig verlegen drein. „Einen professionellen Lieferservice kann ich mir nicht leisten“, sagt er.

Bis vor kurzem stapelten sich die Bilder und Farbvorräte in seiner etwa 30 Quadratmeter großen Wohnung. Jetzt kann er ein separates Atelier „sein Eigen“ nennen. Ein Bekannter hat ihm Zugang zu einem Dachboden verschafft. „Ich musste tagelang sauber machen“, erzählt er. Aber nun könne er endlich in Ruhe arbeiten und müsse nicht jede Woche seine komplette Wohnung aufräumen, sobald seine siebenjährige Tochter für drei Tage bei ihm ist. „Ich habe expandiert“, sagt er und lacht. Nur der Hausverwalter seines Freundes darf nichts davon erfahren.

Prekäre Verhältnisse bestimmen nicht nur Daniels Alltag, sie sind für ihn auch künstlerisches Programm. Fünf- bis sechsmal übermalt er seine Bilder. Das sei sein Stil, sagt er. Die Bilder seien nie fertig. Beständigkeit sucht man in seiner Kunst vergeblich. Zum Teil ist dieser künstlerische Ansatz auch aus der Not geboren. Denn ständig neue Leinwände kaufen, auch das kann sich Daniel nicht leisten.

In Berlin und den USA hat er Kunst studiert. Er selbst würde immer von sich behauptet, dass er „Maler“ ist. Seinen Lebensunterhalt aber kann er mit dem Verkauf seiner Bilder nicht bestreiten. Als Vertretungskraft gibt er deswegen zwei- bis dreimal die Woche Unterricht an einer Privatschule – Kunst, aber auch Mathematik und einige andere Fächer. Einnahmen hat er auch aus einer zweiten Leidenschaft: Daniel ist DJ, er legt Latino-Pop und -Rock auf.

Damit fing er bereits in seiner Heimat Bolivien an. Damals habe er sich mit jedem ersparten Geld Platten gekauft. Das geht jetzt fast nicht mehr: die Utensilien seiner ersten Leidenschaft, dem Malen, sind zu teuer. Bei einem monatlichen Verdienst von etwas mehr als 600 Euro sind neue Scheiben nur noch selten drin. Es reicht ja nicht einmal für Leinwände.

Zu gern würde Daniel wieder seine alte Heimat besuchen. Seine Eltern leben dort zwar auch nicht mehr – die Mutter wohnt inzwischen ebenfalls in Berlin, der Vater irgendwo in Mittelamerika. Trotzdem vermisst er Bolivien. Doch ihm fehlt das Geld. Nach Deutschland ist er einst wegen der sozialen Absicherung gekommen. In den USA, wo er zwei Jahre lebte, sei es für ihn zwar einfacher gewesen, einen Job zu finden. „Dafür ist hier meine Tochter krankenversichert.“

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