: Zonen der Rechtlosigkeit
Schlechte Nachricht zum Weltflüchtlingstag: Selbst anerkannte Flüchtlinge finden kaum noch Asyl in der Festung Europa. Und diese Politik der Abschottung macht Schule
Verteidigungsminister Franz Josef Jung hat Anfang April auf den Punkt gebracht, was das deutsche Interesse an einer Stabilisierung der Demokratischen Republik Kongo ist. Ganz vorne auf seiner Liste der Interventionsmotive: Verhinderung von Flucht und Migration: „Erstens hätte ein Rückfall in Krieg und Gewalt neuen zusätzlichen Immigrationsdruck auf Europa und damit auch auf Deutschland zur Folge“, stellte der Verteidigungsminister die Prioritäten klar. Auf den Plätzen folgen der Demokratisierungsprozess im Kongo und das entwicklungspolitische Engagement Deutschlands.
Die Scham ist vorbei. Wer über Flüchtlinge und Migranten in militärischen Kategorien redet und Fluchtverhinderung mit militärischen Mitteln betreibt, stößt kaum noch auf Widerspruch. Anfang Juni hat EU-Kommissar Frattini die Entsendung einer „schnellen Eingreiftruppe“ auf die Kanarischen Inseln angekündigt. Mehrere EU-Staaten haben sich bereit erklärt, kurzfristig Flugzeuge und Schiffe an die afrikanische Küste zu verlegen, um dort Flüchtlinge zu orten und abzufangen. Der verstärkte Einsatz von Satellitenüberwachung ist ebenso geplant wie der Einsatz unbemannter Überwachungsflugzeuge – so genannter Drohnen – an den Land- und Seegrenzen.
Das beharrliche Schweigen von Bundesinnenminister Schäuble in Deutschland zur Brutalisierung an den südlichen Außengrenzen der EU ist kaum zu überhören. Hatte er aus der Opposition heraus seinem Vorgänger Schily noch vorgeworfen, Internierungslager am Rande der Sahara zu planen, so hat er sich zum Thema völkerrechtswidriger Massenabschiebungen aus Süditalien ebenso wenig geäußert wie zur Neuauflage von Schilys Lagerplänen. Spanien will „temporäre Aufnahmezentren“ in Mauretanien und Senegal aufbauen.
Andere Projekte der Vorneverteidigung inklusive der zugehörigen Internierung der Aufgegriffenen funktionieren seit längerem da, wo willfährige Staaten die Schmutzarbeit für die Europäer erledigen. Jeder Diktator ist dabei ein potenzieller Kooperationspartner, zeigt er sich offen für Geschäfte der Sorte „Fluchtverhinderung gegen Geld“. Rettungswesten und Leichensäcke für die Opfer der auf dem Meer gescheiterten Fluchtversuche gibt es von der EU noch gratis obendrauf.
Trotz der Bilder von den Kanarischen Inseln oder von Lampedusa sind es jedoch nach wie vor relativ wenige Menschen, die den Versuch unternehmen, das Territorium der EU-Staaten mit ihren mehr als 450 Millionen Einwohnern zu erreichen. Das Sterben auf See, nicht zuletzt verursacht durch die Perfektionierung der Abschottung an anderen Stellen, nehmen die Regierungen zum Anlass, auf noch weiter militarisierte Flüchtlingsabwehrpolitik zu setzten.
Die Medien folgen von Krisenherd zu Krisenherd: Einen Sommer lang war es Lampedusa, letztes Jahr Ceuta und Melilla, jetzt sind es die Kanarischen Inseln. Nur selten interessiert sich jemand dafür, was mit den jetzt in Lampedusa Ankommenden geschieht, oder für das Schicksal derjenigen, die in den vergangenen Jahren nach Libyen abgeschoben wurden. Libyen hat nach Angaben seines Ministeriums für nationale Sicherheit allein im Jahr 2005 mehr als 23.000 afrikanische Flüchtlinge und Migranten an der Weiterreise nach Europa gehindert! Von Anfang 2004 bis Ende Juli 2005 wurden mehr als 70.000 Menschen in ihre Herkunftsländer abgeschoben.
Lampedusa ist auch weiterhin eine Zone der Rechtlosigkeit. Nur wenn Parlamentarierdelegationen einreisen, öffnet sich die Tür einen Spaltbreit und gibt den Blick frei auf Zustände, die mit Humanität und Völkerrecht nichts zu tun haben. Ähnlich abgeschottet werden die Flüchtlinge auf den Kanaren.
Auf ihrem Weg nach Europa werden Flüchtlinge umdefiniert zu Illegalen. Wenn Menschen ihr Leben in die eigene Hand nehmen, weil sie vor Verfolgung fliehen oder einfach nicht krepieren wollen, dann werden sie zur Zumutung. Die in den Medien kaum präsente Realität: Mehr als 90 Prozent der Flüchtlinge in der Welt bleiben in ihrer Herkunftsregion. Über die Hälfte dieser Menschen lebt seit über zehn Jahren in Flüchtlingslagern oder Zwangssiedlungen, viele seit Generationen. Ihnen bleibt häufig nur das nackte Leben anstelle der Rechte, die ihnen nach der Genfer Flüchtlingskonvention zustehen: Zum Sterben ist das zu viel, zum Leben zu wenig.
Der Dauerskandal schlägt sich in der Jahresstatistik des UN- Flüchtlingskommissars nieder, nach der immer weniger Flüchtlinge auf ihrer Flucht eine Staatsgrenze überschreiten. Damit aber werden sie erst zu Flüchtlingen in Sinne des Völkerrechts. Stattdessen bleiben sie als Binnenvertriebene im eigenen Lande. Einer der Gründe: Die europäische Strategie der Grenzabschottung macht Schule. Verständlicherweise betrachten es viele afrikanische Staaten inzwischen als Zumutung, dass sie noch weitere Lager im europäischen Interesse betreiben sollen.
Nach den Erfahrungen der Vergangenheit besteht aller Anlass, den Ankündigungen der EU-Staaten zu misstrauen, man werde Erstaufnahmestaaten künftig bei der Flüchtlingsaufnahme unterstützen oder entlasten. Tatsächlich spielen die EU-Staaten bei der Übernahme selbst anerkannter Flüchtlinge aus Erstaufnahmestaaten eine sehr geringe Rolle. Neue Lager sind also nicht das, was gebraucht wird. Notwendig ist zuallererst, dass Flüchtlinge gefahrlos und legal das EU-Territorium erreichen können, wo ihr Asylantrag fair geprüft werden muss. Eine gemeinsame Einwanderungspolitik muss mit legalen Einwanderungsmöglichkeiten dafür sorgen, dass Migranten nicht mehr die lebensgefährlichen Wege nach Europa beschreiten müssen.
Die militärische Bekämpfung von Flucht ist nicht nur inhuman, sondern über kurz über lang auch teurer als die nachhaltige Bekämpfung von Fluchtursachen. Die Forderung liegt seit langem auf dem Tisch: Die Europäische Union muss aufhören, mit ihren Agrarsubventionen die Märkte auf dem afrikanischen Kontinent zu zerstören, und damit eine der wesentlichen Fluchtursachen beseitigen.
BERND MESOVIC
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