KOMMENTAR: Stürzen und schweigen
Der „Weser-Kurier“ entmachtet seine Chefin. Die LeserInnen erfahren dazu nur die halbe Wahrheit
Eine Zeitung hat die Aufgabe, ihre LeserInnen zu informieren. Der Weser-Kurier offenbar nicht – wenn es um ihn selbst geht.
Zu Weihnachten schrieb der Weser-Kurier, dass die Zeitung in Zukunft von einer „Doppelspitze“ geleitet wird – neben Chefredakteurin Silke Hellwig trete der 61-Jährige Peter Bauer. Allerdings „kommissarisch“. Bauer, der schon mal acht Jahre lang stellvertretender Chefredakteur des Weser-Kuriers war, sei „für die „Organisation der Gesamtredaktion“ zuständig und verantwortlich, während Hellwig sich „vor allem publizistischen Aufgaben widmen wird“.
Verständlich wird das erst, wenn man dazunimmt, was der Weser-Kurier den LeserInnen nicht mitteilt: Die neue Regelung gilt nur, „bis ein neuer Chefredakteur gefunden ist“. So steht es in der verbreiten Pressemitteilung. Auf Deutsch: Silke Hellwig, seit ihrem Amtsantritt 2011 umstrittene Chefredakteurin, ist entmachtet. Sie darf mit dem Titel der Chefin noch Texte schreiben. Bis zum Ende ihrer Vertragslaufzeit.
Dass sie abgesetzt wird, war offenbar dringend – als Interims-Chef musste Peter Bauer vom Pressedienst Nord geholt werden, weil so schnell kein neuer Chefredakteur gefunden werden konnte. Anstatt ihre Leser über diesen Sachverhalt zu informieren, schwadroniert die Meldung zum Sturz der Chefredakteurin über eine „Doppelspitze“, „gemeinsam wollen sie die crossmediale Ausrichtung des Verlags – die Verknüpfung der gedruckten Zeitung mit den Internet-Angeboten der Mediengruppe – vorantreiben und die journalistische Qualität weiter erhöhen“. So ähnlich hatte der Verlag auch schon bei Hellwigs Amtsantritt orakelt.
Keine halbwegs bedeutsame Firma in Bremen, bei der Köpfe rollen, kann darauf setzen, dass solche Vorgänge derart verschleiernd und, aus Rücksicht auf das Firmeninteresse, verfälschend dargestellt werden. Der Weser-Kurier aber betreibt Machtmissbrauch in eigener Sache.
Dass der Weser-Kurier, wenn es um die eigenen Angelegenheiten geht, auf alle Standards journalistischer Ethik verzichtet, hat Tradition. Erst eine Woche vor dem Sturz der Chefredakteurin hatte die Mediengruppe vor dem Landesarbeitsgericht auch in zweiter Instanz ein Verfahren verloren, bei dem es um die Übertragung des Anzeigengeschäftes von einer eigenen Tochterfirma auf eine formal unabhängige Fremdfirma ging – bei der Operation konnte die Mediengruppe Weser-Kurier nicht nur Tarifverträge, sondern auch aufmüpfige Betriebsräte abschütteln. Wenn andere Firmen so mit Arbeitnehmerrechten umspringen, müssen sie mit kritischen Berichten im Weser-Kurier rechnen.
Nur die Weser-Kurier-Mediengruppe kann sich das leisten, ohne eine große kritische Öffentlichkeit fürchten zu müssen. Das Landesarbeitsgericht kam zu dem Urteil, dass die Verlagerung des Anzeigengeschäftes arbeitsrechtlich als „Betriebsübergang“ zu werten sei. Das heißt, dass alle Mitarbeiter einen Beschäftigungsanspruch zu gleichen Konditionen in der neuen Firma haben. Auch Betriebsräte. Das war eine schallende Ohrfeige insbesondere für den Aufsichtsratsvorsitzenden der Mediengruppe, Johannes Weberling, der vor Gericht als Anwalt gegen die Rechte der Beschäftigten auftrat und unterlag.
Kein Wort musste er darüber in der eigenen Zeitung fürchten. KLAUS WOLSCHNER
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