Prophetie vom Dach - Teil 6

... dem Zweiten Weltkrieg an die Adresse der Bundesrepublik). Die Türkei strotzt vor – ökonomisch wohl fundiert – Selbstbewusstsein. Da wird selbst die Aufstandskultur, die der Hader um den Gezipark begründete, gefeiert. Man zerbröselt politische Opposition, indem man sie integriert. Im 100. Jahr nach dem Ersten Weltkrieg wird Europa zu einem Kontinent, der vergisst, sich seiner habsburgischen Wurzeln zu vergewissern. Habsburg, das war eine gute Monarchie, die Vielfalt aushalten konnte. Die EU könnte diese Tradition beerben – wenn sie denn wollte und von Kleinlichkeiten absähe. Wird am 25. Mai, abends bei Auszählung der Stimmen zur EU-Wahl, noch irgendjemand parat haben, dass Brüssel eine tolle Hauptstadt von Europa ist – und jeder Skeptizismus den Nationalisten in allen Ländern in die Hände spielt?“ Also sprach der Experte und verlässt das Dach wieder durch die schwere Eisentür und hinterlässt uns ratlos auf dem Rasen mit Rilke. Was tun wir denn nun? Erst mal einen Schluck Pfannebecker und eine Zigarette, gefüllt mit individuell gewähltem Inhalt. Und dann: essen! Man muss sich stärken. Doch kaum ans Essen gedacht, betritt der nächste Experte das Dach. Man kann auch hier eben nicht mal in Ruhe nachdenken. Und also müssen wir, statt die Ankunft eines üppigen Festmahls zu feiern, das, auf großen Silberplatten serviert, unsere Sinne betäubt, erst mal wieder zuhören. Dieses Mal dem Fachmann fürs Kulinarische, der zu wissen meint, was wir im nächsten Jahr zu essen haben werden: „Wer hat nicht schon mal auf eine Speisekarte geschaut und hätte am liebsten den Kinderteller genommen. Fand es dann aber doch irgendwie unpassend. Damit ist es spätestens 2014 vorbei. Schon jetzt machen sich Kleingerichte in den Restaurants breit. Und es gibt da einen kleinen Unterschied zu den Vorspeisen oder kleinen Appetitmachern, die man als ‚Gruß aus der Küche‘ serviert bekommt. Die Teller sollen satt machen. Mal nennen Wirte es ‚deutsche Tapas‘ oder ‚Tiroler Antipasti‘ oder einfach ‚kleine Schweinereien‘. Der Trend ist so frisch, dass noch keine eindeutige kulinarische Genrebezeichnung existiert. Tapas sind aber sicher die beste Entsprechung. Tapa meint Deckel und hat sich auf der Iberischen Halbinsel aus dem Brauch entwickelt, eine Scheibe Brot auf das Weinglas zu legen, um Fruchtfliegen abzuhalten, vor allem wenn im Glas süßer und duftender Sherry schwamm. Ursprünglich war es eine Zwischenmahlzeit oder ein kleiner Imbiss, denn auf der Iberischen Halbinsel wird erst kurz vor Mitternacht zu Abend gegessen, und bis dahin hat man viel Zeit, in den Bodegas den ein oder anderen Aperitif zu trinken. Inzwischen hat sich aus den Tapas eine ganz eigene Art des Essens entwickelt. Kleine Fleischbällchen, frittierte Sardinen, gebratene Paprika – die Minigerichte sind salziges Naschwerk. Die Köche, die sich vom spanischen Vorbild inspirieren lassen, wollen gern mehr von ihren Künsten zeigen, zu fairen Preisen. Großflächige Schnitzel oder breit aufgefächerte Braten verbinden ohnehin ...