Wo bayerische Mamas Deutsch lernen

Um sich zu integrieren in die Welt, in der ihre Kinder groß werden, machen nicht deutschstämmige Mütter freiwillig Sprachkurse. Zum Beispiel im bayerischen Pfaffenhofen. Dort funktioniert das Projekt so gut, dass nun Väter einsteigen wollen – auch ohne den Druck der Landesregierung

von MAX HÄGLER

Elke Kahlenborn grinst an diesem Vormittag in bester Lehrermanier, die Prüfungsblätter in der Hand. „Na, seid ihr fit?“, fragt sie. Die schlechten Schülerinnen schauen verschämt auf den Boden, die mittelmäßigen nesteln aufgeregt an ihren Federmäppchen und die guten schauen ihre Deutschlehrerin erwartungsvoll an. Wie an jeder Schule, wie in jeder Klasse.

Aber eines ist hier im bayerischen Pfaffenhofen anders: An den Schultischen im Souterrain der Berufsschule sitzen keine Schulkinder – sondern ihre Mütter. Kahlenborn, die studierte Germanistin, ist ihre Lehrerin. Heute geht es um die richtige Satzstellung: „Wann gehen Sie ins Bett? Um sieben gehe ich ins Bett.“ Erst haben die acht Mütter im Alter zwischen 30 und 50 den Stoff wiederholt, jetzt schreiben die Frauen aus der Dominikanischen Republik, Brasilien, Russland, der Türkei und Polen einen Test.

Eigentlich ist das beim Sprachlern-Projekt „Mama lernt Deutsch“ nicht vorgeschrieben. „Aber die Leute sollen ja auch mit Ernst an die Sache rangehen und ihre Hausaufgaben machen“, erklärt Lehrerin Kahlenborn ihre Taktik. „Da helfen Tests, auch wenn ich niemals draufschreiben würde: durchgefallen.“ Sitzenbleiben gibt es sowieso nicht, bei den Kursen, die es in etwa 50 bayerischen Landkreisen gibt. Seit einigen Jahren werden solche Projekte in der gesamten Republik ausprobiert. Die Mütter können in diesen Kursen mit 160 Unterrichtsstunden freiwillig die Sprache lernen: um zu verstehen, was die Lehrer ihrer Kinder bei den Sprechstunden sagen, um herauszukommen aus ihrem Sprachgetto – um sich zu integrieren in die Welt, in der ihre Kinder groß werden.

So wie Aldecy Laubsch. Vor neun Jahren hatte die heute 41-Jährige aus Brasilien eine Cousine in Hamburg besucht und ist hängen geblieben in diesem Land, „in dem das Wetter und die Sprache die Probleme sind“. Zwei Kinder hat sie, und als sie mit ihrem deutschen Mann von einem Bauernhof nach Pfaffenhofen umgezogen ist, war sie mit den Nerven am Ende. „Ich habe nichts verstanden. Es war furchtbar.“

Einen Deutschkurs hat sie dann gemacht. „Und es war wie eine Therapie für mich. Ich habe angefangen zu lernen, habe viele neue Leute kennen gelernt.“ Die deutsche Staatsangehörigkeit möchte sie zwar nicht annehmen, aber hier leben und wohnen. „Und dazu gehört auch, dass man die Sprache spricht.“

Es ist die Einstellung, die auch die Politik von Ausländern einfordert, vor allem in Bayern. Die CSU-Regierung hatte Anfang April mal wieder in Windeseile ein Ausländer-Integrationspaket gestrickt, als die Republik sorgenvoll über die vielen Probleme an Schulen diskutierte: von brutalen Handyvideos über Prügeleien bis zu enormen Abbrecherquoten. „Integration kann ohne gemeinsame Sprache nicht funktionieren“, war eine Lösungsbotschaft von Ministerpräsident Edmund Stoiber.

Da kann die Brasilianerin Laubsch zustimmen. Aber den Kopf schüttelt sie angesichts der Drohungen, die ihr der Freistaat inzwischen an den Kopf knallt. „Bayern führt als erstes Land konkrete Sanktionen gegen Ausländer ein, die Integration konsequent verweigern“, heißt es im Regierungspapier. Mit Bußgeldern wird gedroht und mit Denunziation: „Die Grundschulen in ganz Bayern werden die Ausländerbehörden informieren, wenn ein ausländisches Kind nicht ausreichend Deutsch spricht.“ Dann drohen Sonderschule und ein Zwangs-Integrationskurs für die Eltern.

Für die Mamas in Pfaffenhofen gibt es einen anderen Weg. Gemeinsam mit Erziehern, Lehrern, dem Jugendamt und den Bürgermeistern hat die CSU-Landtagsabgeordnete Erika Görlitz einen Familienpass eingeführt, der Sprachkurse für die Eltern umfasst, Referate übers Vereinsleben, Diskussionen über christliche Werte und auch über die Rechte und Pflichten des Staates und der Eltern. „Dazu haben wir auch alle deutschen Eltern eingeladen“, erklärt Görlitz. „Denn es ist auch manchen deutschen Eltern unklar, dass bei den Hausaufgaben kein Fernseher laufen sollte oder dass sie sich darum kümmern müssen, dass die Kinder Malstifte und Turnbeutel mitnehmen.“

Die Angebote richten sich an Eltern, deren Kinder im letzten oder in diesem Schuljahr eingeschult werden, und sind freiwillig. „Aber mit ein wenig moralischem Druck“, so Görlitz. Die Bürgermeister des Landkreises hatten alle Eltern angeschrieben, deren Mütter nicht aus Deutschland stammen, und mit einem förmlichen Briefpapier darauf hingewiesen, dass Sprachkenntnisse unbedingt von Nöten seien beim Kontakt mit den Kindergärtnern und Lehrern.

„Das hat Eindruck gemacht, obwohl es nicht verpflichtend war“, erinnert sich die CSU-Politikerin. „Einige türkische Männer haben mir daraufhin gesagt: Wenn unsere Frauen solche Kurse machen müssen, dann dürfen sie das auch.“ Und es läuft so gut, dass sich in einer Gemeinde inzwischen 12 türkische Papas von sich aus zusammengetan haben und bei der Volkshochschule – dem Träger der „Mama lernt Deutsch“-Projekte – um einen Lehrer gebeten haben.

Wer auf die Zahlen schaut, sieht im beschaulichen Pfaffenhofen an der Ilm – gelegen in einer sanften Hügellandschaft zwischen München und Ingolstadt – kein Integrationsproblem. Der Ausländeranteil liegt bei etwa fünf Prozent, „aber es gibt auch Eltern mit deutschem Pass, die schlecht Deutsch sprechen – und wir haben fünf Prozent Russlanddeutsche hier, die bisher sehr abgekapselt in ihrer eigenen Kultur und Sprache leben“, beschreibt Görlitz die Melange. „Wir haben irgendwann entsetzt festgestellt, dass die Quote der jungen Leute ohne Schulabschluss bei diesen familiären Verhältnissen deutlich erhöht ist, dabei sind das sicher keine dümmeren Schüler.“

Sprachschwierigkeiten seien dabei ein Punkt, aber in Görlitz’ Augen auch eine Erwartungshaltung der Eltern – ob ausländisch oder deutsch – an den Staat. „Oft heißt es: Der Kindergarten wird’s schon richten. Oder: Das lernt ihr ja in der Schule. Aber da kommen wir genauso wenig weiter wie mit Regulierungsmaßnahmen durch den Staat.“

Das Stoiber’sche Sonderschuljahr bei ungenügenden Deutschkenntnissen fällt bei der praktisch handelnden Politikerin durch: „Wieso nicht ein weiteres Jahr Kindergarten? Das wäre einfacher gewesen.“ Überhaupt brauche es keine weiteren Gesetze. Nur Geld müsse zur Verfügung gestellt werden. Die Mama-Sprachkurse werden vom Europäischen Sozialfonds bezahlt, der vom bayerischen Kultusministerium verwaltet wird, aber immer noch eine Ko-Finanzierung benötigt, in Pfaffenhofen unterstützen zwei Banken die insgesamt sieben parallel laufenden Kurse.

Zu Recht, wie Fathma Bal meint. In den Augen der Türkin, die bei Lehrerin Kahlenborn im Unterricht sitzt, ist das Pfaffenhofener Modell der richtige Weg, um sich in Deutschland einzufinden. „Ein bisschen Druck ist dabei auch gut, nicht aber diese schwierigen Einbürgerungstests, die sind eine Erniedrigung.“ Kaum ein Deutscher könne doch diese Fragen beantworten. 13 Jahre alt war Bal, als sie 1979 nach Deutschland gekommen ist, ihre 8. und 9. Klasse hat sie in einer Münchner Schule absolviert, mit 18 Jahren hat sie schließlich geheiratet. Für die gläubige Muslimin ist der Unterricht bei Lehrerin Kahlenborn mehr Auffrischung als neuer Stoff. „Ich kann eigentlich schon Deutsch, aber gerade bin ich Hausfrau, da kommt man nicht so viel raus und verlernt einiges.“

Auch Bals Tochter Nuray freut sich, dass ihre Mutter rauskommt von zu Hause: „Das ist ein guter Kurs, sie hat Kontakt zu Lehrern und zu anderen Müttern und kann sich austauschen.“ Die 20-jährige Rechtsanwaltsgehilfin geht auf die Berufsoberschule, um ihr Abitur nachzuholen. Kulturell fühlt sie sich „irgendwie dazwischen“, sie spricht perfekt Deutsch, einzig ein kleiner Akzent verrät ihre Herkunft. „Ich hatte das Glück, nicht allzu viel mit Türken zu tun zu haben in der Schule, so war ich gezwungen, Deutsch zu sprechen.“

Aber Nuray glaubt, dass Sprachkenntnisse auch zu Hause wichtig sind: „Etwa wenn man ein Gedicht auswendig lernen muss. Vielleicht versteht die Mama den Inhalt nicht ganz, aber es hilft doch schon viel, wenn man mitsprechen kann.“