La montaña Brokeback

HIPPEN empfiehlt In „Ander“ von Roberto Castón erlebt ein Bauer im abgeschiedenen Baskenland sein Coming-Out

Castón hat er ein fast ethnologisches Interesse an der kleinen Gruppe jener, die in diesem Hof und in dieser baskischen Region leben

VON WILFRIED HIPPEN

Eigentlich hat er selber sich darüber am meisten erschrocken! In einem abgeschiedenen Tal im Baskenland lebt der Bauer Ander sein eingefahrenes Leben. Der kleine Hof, den der gut 40jährige zusammen mit seiner Schwester und seiner Mutter bewirtschaftet, wirft so wenig ab, dass er noch zusätzlich in einer Fahrradfabrik im Nachbarort arbeiten muss. Er lebt im täglichen Trott und nur, dass er nachts manchmal alleine in die Felder geht, und dort Musik aus seinem alten Transistorradio hört, lässt erahnen, dass er überhaupt irgendwelche Sehnsüchte haben könnte. Nun heiratet aber die jüngere Schwester, und Ander bricht sich eines Nachts auf einem der Hänge ein Bein. Und so wird ein junger Mann aus Peru als Erntehelfer eingestellt, der in dem Mann Gefühle weckt, die für ihn völlig neu und überraschend sind.

Ja, solche „coming-Out“- Geschichten werden im schwul-lesbischen Kino immer wieder erzählt, und wenn eine Kritikerin in der Zeitschrift “Siegessäule“ ihn als „eine europäische Antwort auf „Brokeback Mountain“ beschreibt, ist dies als ein großes Lob gemeint. Dabei ist Castón kaum an der melodramatischen Dramaturgie einer Liebesgeschichte interessiert - stattdessen hat er ein fast ethnologisches Interessen an der kleinen Gruppe jener, die in diesem Hof und in dieser Region leben. Und dieser genau Blick auf die Menschen ist es, der den Film so besonders macht.

So gemächlich wie der Lebensrhythmus der Dorfbewohner ist auch der Film geschnitten. Da wird genau und detailreich gezeigt, wie diese Menschen arbeiten, feiern, miteinander reden und essen. Wenn man die gemeinsamen Essen am Küchentisch des Hofes aus dem Film herausschneiden würde, wäre er gut ein Viertel kürzer, aber mit der Zeit schaut man mit immer größerem Interesse auch in die Kochtöpfe, und so wirkt „Ander“ mit seinen 128 Minuten seltsamerweise nie lang.

Dies liegt zum einen daran, dass die Filmfiguren zugleich authentisch wirken und komplex gezeichnet sind. Neben der Handvoll von professionellen Hauptdarstellern sind über 50 Laiendarsteller aus der Region zu sehen. Meist wird in der baskischen Sprache Euskera gesprochen, und nur bei Außenseitern wie dem Peruaner José wird zum Spanischen gewechselt, das dann wieder die Mutter von Ander so gut wie gar nicht beherrscht. Nicht nur durch diese verschiedenen Sprachebenen entstehen ständig Zwischentöne und Castón kann sehr gut mit dem Angedeuteten, dem Nicht-Gesagten und dem manchmal auch absichtlich falsch Verstandenen erzählen.

So kommt er auch ganz ohne das Klischee von den tumben und bigotten Dorfbewohnern aus, und er gewährt jeder seiner Figuren genügend Raum, damit der Zuschauer mit ihr vertraut wird und so immer tiefer in die Gemeinschaft hineingezogen wird.

So entwickelt sich etwa die örtliche Prostituierte Reme im Laufe des Films zu der klügsten und großherzigsten Figur des Films, und durch ihre Hilfe trifft Ander schließlich eine für die vermeintlich so einengenden Verhältnisse des Dorfes geradezu utopische Entscheidung. Dieses Ende macht dann auch deutlich, wie kunstvoll und subtil Castón erzählt, gerade weil sein Film so schlicht, ja fast dokumentarisch wirkt.

„Ander“ wird als Appetitanreger für das Queerfilm-Festival gezeigt, das vom 12. bis 17. Oktober stattfindet. Das Kino 46 macht einen Monat lang Sommerpause und beginnt Anfang August wieder mit seinem Programm