Alle zehn Jahre eine Katastrophe

Der Klimawandel führt zu stärkeren Regengüssen. Immer größere Gebiete sind von Überflutung bedroht. Jetzt sollen Computersimulationen den Hochwasserschutz auf Touren bringen

von Gernot Knödler

Es war das, was die Meteorologen ein Jahrhundertereignis nannten: das Gewitter, das am 1. August 2002 über Hamburg niederging. Zuerst verfärbte sich der Himmel schweflig-grau, dann stürzten 24 Millionen Kubikmeter Regen auf die Stadt herab. 3,3 Millionen davon versickerten oder rauschten in die Kanalisation. Der Rest – die 60-fache Wassermenge der Binnenalster – staute sich auf den Straßen. Autos blieben liegen. Keller liefen voll. Manche mussten auf dem Heimweg lange Umwege machen oder durch brusthohes Wasser waten.

Der Wolkenbruch von 2002 war für die Behörden Hamburgs und Niedersachsens ein solcher Schock, dass sie sich mit Partnern aus Großbritannien, den Niederlanden, Schweden und Norwegen zu dem EU-Projekt „Flows“ zusammenfanden. Ziel ist es, überschwemmungsgefährdete Gebiete im Nordseeraum nachhaltig zu entwickeln. Wird irgendwo die Landschaft umgebaut, darf das nicht zu kostspieligen Flutschäden dort oder anderswo führen.

„Statistisch gesehen, wäre der Starkregen von 2002 ein 100-jähriges Ereignis“, sagt Erik Pasche, Professor an der Technischen Universität Hamburg-Harburg. „Wir gehen davon aus, dass es tatsächlich alle zehn Jahre vorkommt.“ Die Ursache dafür ist der Klimawandel, der Wetterextreme begünstigt. Im Norddeutschland wird es seltener, dafür aber konzentrierter regnen.

Die Kanalisation ist damit überfordert, wie das Beispiel Hamburgs zeigt. Das Abwassernetz ist auf einen Regenguss ausgelegt, der durchschnittlich alle fünf Jahre vorkommt. „Wenn wir alleine das innerstädtische Kanalnetz auf ein Zehnjahres-Ereignis ausrichten würden, müssten wir 2,7 Milliarden Euro investieren“, sagte Matthias Sobottka von der Hamburger Stadtentwässerung der taz. Eine utopische Summe.

Die Wasserbauer versuchen daher, Überflutungs- und Versickerungsflächen zu schaffen, die das Abwassernetz entlasten. Außerdem sollen Bauprojekte regelmäßig daraufhin überprüft werden, ob sie in überschwemmungsgefährdeten Gebieten liegen oder Überschwemmungen auslösen können.

Mariele Evers, Professorin an der Uni Lüneburg, hat zu diesem Zweck ein Computerprogramm für die niedersächsischen Elbtalauen entwickelt. Mit ihm lässt sich simulieren, wie sich Bauten – Siedlungen, Gräben, Deiche – auf das Hochwasser auswirken. Es kann zeigen, wie groß das Risiko ist, dass ein Bauplatz überflutet wird und den Bauherrn dazu bringen, sein Vorhaben entweder aufzugeben oder auf den Keller zu verzichten.

Weil abstrakte Warnungen offenbar nicht ausreichen, um die Gefahren klarzumachen, hat TU-Professor Pasche ein mobiles Demonstrationssystem entwickelt: einen Wald von Plexiglassäulen, der auf das jeweilige Grundstück gefahren werden kann. Der Bauherr stellt sich zwischen die Säulen und guckt zu, wie im das Wasser bei einem Zehnjahres-Ereignis bis zum Hals steigt. „Man kann dem Bürger klar machen, dass er eventuell aus seinem Gebiet gar nicht mehr rauskommt“, sagt Pasche.

„Calypso“, das Simulationsprogramm, das Evers und andere entwickelt haben, ist kompatibel mit der Software der Stadtplaner. Diese könnten dann nicht nur sehen, ob sie in einem Naturschutzgebiet planen, sondern auch, wie überschwemmungsgefährdet das Gebiet ist.

Aus Sicht Pasches lässt sich damit zeigen, wo mit einem vernünftigen Aufwand gebaut werden kann. Trotzdem tue sich das neue Programm schwer, Freunde zu finden. Die Stadtplaner befürchteten, dass Baugebiete durch das Ausweisen des Hochwasserrisikos an Attraktivität einbüßen könnten. Pasche: „Wir drängen auf Bebauungspläne mit Restriktionen.“ Wer dort baut, könnte zum Beispiel verpflichtet werden, sein Haus abzudichten oder auf eine Warft zu setzen, was die Kosten in die Höhe treibt.