Staatsstreich im Schanzenviertel

ROTE FLORA Führende Hamburger Polizeibeamte haben laut einem Insider die vorweihnachtliche Demonstration für das Kulturzentrum unbedingt verhindern wollen. Ein Beamter spricht vom „Verheizen“ seiner Kollegen. Neue Krawalle am Wochenende

Born und Dudde hätten es nicht ertragen, dass die Szene ungehindert demonstriert

AUS HAMBURG KAI VON APPEN

Die schweren Ausschreitungen zwischen der linken Szene und der Polizei bei der Demonstration für den Erhalt der Roten Flora im Hamburger Schanzenviertel am 21. Dezember werden ein parlamentarisches Nachspiel haben. Für den 6. Januar steht eine Sitzung des Innenausschusses der Bürgerschaft auf der Tagesordnung. Grüne und Linkspartei wollten ursprünglich bereits für den vergangenen Freitag eine Sondersitzung anberaumen. Das war jedoch von der SPD-Mehrheitsfraktion als „überstürzt“ abgelehnt worden.

Immer mehr verdichten sich Informationen, dass die hanseatische Polizeiführung den Marsch von mehr als 7.500 Unterstützern für das seit 24 Jahren besetzte Zentrum verhindern wollte. In den Fokus geraten sind die seit Jahren umstrittenen Gesamteinsatzleiter Peter Born und Hartmut Dudde, denen an diesem Tag 3.500 Polizisten aus dem gesamten Bundesgebiet unterstellt waren. Dudde war bei dem Einsatz unmittelbar vor Ort.

Beide zeichnen für zahlreiche inzwischen von Verwaltungsgerichten für rechtswidrig erklärte Polizeieinsätze in der Elbmetropole verantwortlich. Die beiden Polizeiführer, die unter dem rechtspopulistischen Innensenator Roland Schill Karriere machten, hätten es einfach nicht ertragen können, „dass die verhasste linke Szene ungehindert für ihre Ziele laufen“ würde, berichtet ein Insider aus dem Polizeizentrum in Hamburg-Alsterdorf. Dort befinden sich das Präsidium, die Unterkunft der Bereitschaftspolizei sowie die Polizei-Universität. „Dabei sind bewusst Kollateralschäden durch Krawalle in Kauf genommen – oder besser gesagt: gewollt worden“, so der Polizei-Informant.

So war die Demonstration dann auch abgelaufen. Kaum hatten sich die ersten Reihen auf der erlaubten Route bewegt, traten ihnen Polizeikräfte entgegen. Ohne Vorwarnung gingen die Beamten mit Schlagstöcken und Faustschlägen gegen die Demonstranten vor. Zur Unterstützung setzte die Polizei Wasserwerfer ein. Auf dem Schulterblatt vor der Roten Flora kam es in den ersten Reihen zu heftigen Schlägereien. Die Demonstranten warfen verstärkt Steine und Flaschen. Auf der Straße gingen immer wieder Polizeigruppen mit Schlagstöcken und Pfefferspray gegen Protestler vor, die die Beamten nun mit allem bewarfen, was auf der Straße zu finden war. Kleine Einheiten der Polizei rannten in die Demonstration, Autonome schlugen sie zurück. Vor der Roten Flora gingen sich Beamte und Protestler direkt an. Polizeikräfte fielen über hingeworfene Mülleimer, Demonstranten sackten durch den Einsatz von Pfefferspray zusammen. Die Polizei erklärte die Demonstration für aufgelöst und kesselte rund 4.000 Teilnehmer ein.

In dieser Zeitspanne wurde ein Pressefotograf, der sich auf einer Bundesbahn-Brücke über dem Schulterblatt befunden hatte, Zeuge eines Dialogs zwischen einem Hamburger Einsatzleiter und einem Einsatzleiter der für die Bundesbahn zuständigen Bundespolizei: „Es läuft alles nach Plan“, soll der Hamburger Einsatzleiter gesagt haben.

Eine Polizeisprecherin, die sich im Einsatzstab bei Gesamteinsatzleiter Born befunden hatte, begründete das Vorgehen zunächst damit, dass Polizeikräfte von der besagten Bahnbrücke mit Steinen beworfen worden seien. Da Filmaufnahmen das Gegenteil belegen, gibt es inzwischen die Version, die Demo habe sich – nachdem gerade über eine Routenänderung verhandelt worden sei – zu forsch in Bewegung gesetzt. Auch innerhalb der Polizei regt sich Kritik an ihrer Führung, „Es war von Anfang an klar, mit welcher Klientel wir es zu tun haben“, sagte ein Beamter einer Hamburger Festnahmeeinheit der taz. „Wir sind einiges gewohnt“, sagte er. Aber „Gruppen von Kollegen nicht einmal in Zugstärke in eine Menge von mehreren hundert Autonome zu schicken“, komme einem „Verheizen“ gleich.

In der Nacht zum Sonntag griffen nach Angaben der Polizei eine Gruppe von 30 bis 40 Vermummten vor der Hamburger Davidwache Polizisten an. Drei Beamte sollen dabei schwer verletzt worden sein.