Seit Jahrzehnten auf der Suche nach einer besseren Zukunft

AUSWANDERUNG Die Freizügigkeit erleichtert bulgarischen Arbeitsmigranten vieles. Ins Ausland gehen würden sie auch, wenn es weitere Einschränkungen gäbe

„Die meisten Bulgaren haben das Land zwischen 1990 und 2007 verlassen. Heutzutage ist es schon aus demografischen Gründen unmöglich, dass sich die Zahl der Arbeitsmigranten sprunghaft erhöhen wird“

MILA MANTSCHEVA, BULGARISCHE MIGRATIONSFORSCHERIN

AUS SOFIA GEORGI MINEV

Angel Pantschev unterbricht kurz das Telefonat, weil jemand an seiner Wohnungstür klingelt. „Das muss der Kurier sein“, sagt der 43-jährige Elektrotechniker, der in der bulgarischen Hauptstadt Sofia lebt. Nach zwei Minuten kommt er wieder mit einem deutschen Sprachführer – seinem neuen Handbuch für die nächste Wochen. Damit will er sich auf seine neue Arbeit in Deutschland vorbereiten. „Italienisch und Englisch spreche ich fließend, aber die deutsche Sprache ist neu für mich“, sagt Angel.

Solche Sprachprobleme hat Dimitar nicht. Der 26-jährige Automechaniker aus dem kleinen zentralbulgarischen 10.000-Einwohner-Städtchen Drjanowo ist gerade von einem Vorstellungsgespräch in Österreich zurückgekommen. „Ich habe verschiedene Jobangebote von dort und aus Deutschland bekommen, aber ich überlege noch, wo es besser ist“, sagt er. „In jedem Fall möchte ich in deutschsprachigem Ausland arbeiten, und deswegen beschäftige ich mich jetzt wieder mit der Sprache“, erklärt Dimitar.

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist nicht der Hauptgrund für die Entscheidung, Bulgarien zu verlassen. Angel und Dimitar sehen in der neuen Regelung eher eine Erleichterung, denn für die beiden Männer ist die Arbeitsmigration kein Neuland. Angel hat in Italien und Neuseeland gearbeitet, Dimitar in Rumänien und Griechenland. Beide würden in jedem Fall weggehen – mit oder ohne Arbeitsbeschränkungen. Denn Angel findet in Bulgarien keinen Job, und Dimitar sucht „etwas Besseres“.

Beide sind sich einig, dass in Deutschland derzeit am meisten Handwerker gesucht werden. „Ich habe Hunderte Bewerbungen in europäische Länder geschickt. 90 Prozent der Antworten kamen aus Deutschland“, sagt Angel. Seine Mühe wurde belohnt: Der erfahrene Elektrotechniker hat schon einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit einer deutschen Firma in Chemnitz. „Ich bin beeindruckt von dem Verhalten der Deutschen. Mein Arbeitgeber hat alles für mich organisiert, sogar eine Wohnung“, erklärt er begeistert. Angel wird Elektroinstallationen in Gebäuden verlegen. Der Lohn dafür: immerhin 9,60 Euro brutto pro Stunde.

Das ist sicher nicht das beste Gehalt der Welt – aber die schlechte wirtschaftliche Situation in Bulgarien bringt trotzdem viele dazu, nach einer besseren Zukunft im Ausland zu suchen. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei 13,6 Prozent. Einer aktuellen Studie des Forschungsinstituts Alfa Research zufolge bezeichnen 47 Prozent der Bulgaren die lahmende Wirtschaft und fehlende Perspektiven als die größten Probleme des Landes. Dennoch erwarten Experten nicht, dass die Freizügigkeit schnell zu einer spürbar wachsenden Arbeitsmigration führen wird.

„Die meisten Bulgaren haben das Land zwischen 1990 und 2007 verlassen. Heutzutage ist es schon aus demografischen Gründen unmöglich, dass sich die Zahl der Arbeitsmigranten sprunghaft erhöhen wird“, erklärt Mila Mantscheva, Migrationsforscherin am Zentrum für Demokratieforschung in Sofia.

Ihre Aussage wird durch statistische Daten bestätigt. Nach Angaben des „Eurobarometers“ der EU-Kommission migrierten zwischen 2004 und 2007 – und damit vor dem Beitritt zur Union – 3,7 Prozent der aktiven Bevölkerung in andere EU-Länder. In den ersten fünf Jahren nach dem Beitritt sank diese Zahl auf 2,1 Prozent. Das Arbeitsministerium in Sofia kommt zu ähnlichen Zahlen: Zirka 800.000 Bürger haben das Land zwischen 2007 und 2012 in Richtung EU verlassen.

Auch Vesselin Mitov, Sekretär der mit 152.000 Mitgliedern größten bulgarischen Gewerkschaft Podkrepa (Unterstützung), rechnet nicht mit einer „Migrationsschwemme“. Seine Gewerkschaft kooperiert mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund und hat die Aufgabe, die Bulgaren, die in Deutschland arbeiten möchten, auf das Leben dort vorzubereiten – zum Beispiel mit Information über Rechte und Pflichten auf dem deutschen Arbeitsmarkt. „Wir verzeichnen kein wachsendes Interesse, eine Arbeit in Deutschland aufzunehmen“, meint Mitov. „Ab dem 1. Januar wird nichts Besonderes passieren, weil diejenigen, die im Ausland arbeiten wollten, schon lange dort sind.“

Nastimir Ananiev, Geschäftsführer einer Arbeitsagentur, die Arbeitskräfte ins Ausland schickt, kann das bestätigen. „Wir haben nicht mehr Anfragen als vorher – weder von Arbeitgebern noch von Arbeitssuchenden. Die Situation ist genau dieselbe wie im vorherigen Jahr.“ Auch der Leiter des Goethe-Instituts in Sofia, Rudolf Bartsch, kann keine Veränderung feststellen. Er ist sicher, dass das Interesse der Bulgaren an Deutschkursen nicht höher sei als sonst. Andere Experten in Bulgarien glauben dagegen, dass für den Fall, dass sich die wirtschaftliche Situation im Land weiter verschlechtert, doch mehr Bürger Bulgariens von den neuen Möglichkeiten Gebrauch machen und ins europäische Ausland gehen könnten.

Zumindest für Angel Pantschev ist die Zeit für seine Abreise nach Deutschland bald gekommen. Er wird symbolisch genau um Mitternacht am 1. Januar sein Auto starten und losfahren. Das ist seine ganz eigene Tradition. Er macht sich immer an einem Datum auf den Weg, an dem Beschränkungen für Bulgaren in Europa fallen.