Immer alle Sachen nachmachen

Die Exil-Australierin Justine Electra schwimmt mit ihrem ersten Album „Soft Rock“ auf einer Erfolgswelle – ohne es richtig zu merken. Interessanter findet sie Electroclash mit Eiern, Joni Mitchell und Musik für alle Arten sexueller Orientierung. Ein Porträt

Als verschrobene Circe singt sie über Beats und Geklampfe hartnäckig Melodien

VON RENÉ HAMANN

In natura sieht sie nicht so aus. Immer noch keck, aber nicht so herausgeputzt wie auf den Fotos der Plattenfirma. Vielmehr trägt sie den typischen Berliner Lo-Fi-Style, Rock und Stutzen, irgendwas Abgerissenes, das so nicht unbedingt zusammenpasst. Die Haare hat sie zusammengesteckt, das Shirt hat Löcher. Es ist Sommer. Zum Termin hat sie einen Freund mitgebracht, einen sympathischen Amerikaner aus San Francisco namens Matt oder Matti, der eben auf Besuch ist und Justine bei ihren Auftritten musikalisch unterstützen wird, bis er wieder zurück in die Staaten muss.

Dass sie auf einer Welle des Erfolgs surft, dass „Killalady“ und „Fancy Robots“ im Radio laufen, dass die gesamte Fachpresse bis hin zur FAZ voll des Lobes ist ob ihres Debüts „Soft Rock“, das dieser Tage bei City Slang erschien –das scheint sie gar nicht mitbekommen zu haben. Tatsächlich freut sie sich wie eine Schneekönigin, als sie das mit dem Air Play erfährt und stupst Matti an. Dann löst sich auch ihre Zurückhaltung etwas auf, die Distanz, die sie mit zum Interview gebracht hat.

Dabei hat sie schon eine Reihe Interviews hinter sich. „Ich fand das sehr interessant, was sich manche Journalisten haben einfallen lassen“, erzählt sie. „Einer hatte extra eine CD dabei mit Stücken, von denen er meinte, dass sie mich beeinflusst haben könnten. Dann hatte er aber das Abspielgerät vergessen.“ Sie lacht. Und wie ist das mit den Einflüssen? „Einflüsse habe ich eigentlich nicht. Bei mir ist das eher so, dass ich Sachen höre, und die mache ich dann nach. Das finde ich lustig. Wenn ich jetzt nur Joni Mitchell nachmachen würde, würden alle sagen, ich wäre die zweite Joni Mitchell. Aber wer braucht so was? Also mache ich noch mehr, noch andere Sachen nach.“

Das erklärt die Vielfältigkeit, das Abwechslungsreiche ihrer Platte. Dass man die jetzt so nennt, ist wohl der pluralen Gesellschaft zu verdanken. Früher hätte man „Soft Rock“ nämlich noch „zu heterogen“ geschimpft. „Die meisten Leute hören einfach alles“, sagt Justine, die wirklich so heißt, dazu. „Sie mögen House, sie mögen Hiphop, sie mögen Rock, sie mögen was weiß ich. Das finde ich gut.“

Justine Carla Electra Beatty ist die Tochter einer Deutschen und eines Australiers, in Australien auf dem Land, in hippieesker Umgebung, aufgewachsen und seit acht Jahren in Berlin. Deutsch hat sie sich durch Fernsehschauen beigebracht, wie sie sagt (Lieblingssendung: Harald Schmidt). Vorher hat sie Musikwissenschaften studiert und ihre Abschlussarbeit über „Radioaktivität“ von Kraftwerk geschrieben.

In ihrer immer etwas seltsam klingenden Musik, modernes Homerecording, benutzt sie Samples, spielt Blues-Gitarre, holt sich Gäste wie Schneider TM heran und probiert Stimmlagen aus. Sie ist ganz die Singer/Songwriterin, die Suzanne Vega vielleicht nie richtig sein konnte: frei, ungebunden, ohne hörbare Korrekturinstanz. In ihrer „Freizeit“ legt sie Platten auf, so genannten TechHouse, eine Art Elektroclash, allerdings „mit mehr Eiern“, wie sie sagt, und treibt sich mit den immer vivider zu werden scheinenden Berliner Musikerfolgreichen herum. „Wir haben auch mal einen Death-Metal-Abend im Kaffee Burger gemacht. Da war sogar Martin Gretschmann von Console da und hat leidenschaftlich zu Guns N’Roses getanzt.“

Eine Frage, die sich immer wieder stellt: Warum Berlin? Justine Electra beantwortet sie so: „Es gibt eine große, internationale Künstlerszene hier, die sich immer mehr entwickelt, das finde ich natürlich gut.“ Einen echten Berliner zu treffen, ist da natürlich schwer. Immerhin war sie schon einmal mit einem zusammen, mit einem Musiker der Punkband Herbst in Peking. In ihren Songs singt sie gern aus verschiedenen Positionen, auch Liebeslieder für Frauen. „Ich finde es auch wichtig, dass Frauen einander sagen, dass sie sich lieben“, sagt sie noch. Und: „Ich mache Songs für alle Arten sexueller Orientierung.“ So geht es im Stück „Railroad Baby“ auch nicht um zwei Frauen, von denen die eine einen sehr jungen Typen knutscht, sondern um eine Frau, die in einen Mann verliebt ist, den sie beim Küssen mit einem anderen, übrigens sehr jungen Typen erwischt.

Im Musikgeschäft hätten die Frauen es immer noch schwerer als Männer, erzählt sie dann. Männer müssten immer dominant sein, ihr Ego raushängen lassen. „Frauen werden auch oft begehrt von den Männern, mit denen sie eigentlich nur zusammenarbeiten wollen. Und diese Männer reagieren sauer, wenn die Frauen dann auch mit anderen Männern zusammenarbeiten wollen.“ Frauen seien außerdem schüchterner und wollten vernünftige Arbeit machen. Natürlich sei das Verhältnis zwischen den Geschlechtern auch im Musik-Biz besser geworden, und ganz ohne Männer ginge es auch nicht.

Es kommt aber sicher nicht von ungefähr, dass Justine Electra das meiste an ihrem Album im Alleingang erledigt hat. Eine durchkalkulierte Arbeit am eigenen kleinen Popsystem. „Soft Rock“, der Titel täuscht etwas, ist eine Platte, die sich von fast allen gut hören lässt. Eine leicht verschrobene Circe singt über Dots und Loops, über Beats und Geklampfe, Melodien, die besonders dann hartnäckig im Ohr bleiben, wenn sie sich nahe an der Monotoniegrenze bewegen. Dazu wird in Rollen geschlüpft und sich auch mal politisch gegeben („President“). Immer bleibt gerade so viel Abstand zwischen der Sängerin und den Protagonistinnen der Geschichten, dass nie klar ist, wie viel von Justine Elektra selbst in ihnen steckt. Und es ist dann auch egal – Justine muss los, sich zusammen mit Matti um die „fluffy“ Katze kümmern, die sie gerade hat.

Justine Electra: „Soft Rock“ (City Slang/RTD)