Faire Bohnen in der Zwickmühle

KAFFEE Auch die Preise, die im fairen Handel gezahlt werden, reichen vielen Bauern nicht zum Leben. Eine Reise vom Berliner Weltladen nach Bolivien

■  Wirklich fair: Die Initiativen Café Libertad und Ökotopia betreiben eine besondere Form des fairen Handels. Sie verzichten auf Fair-Trade-Siegel und arbeiten dafür eng mit Kooperativen in Mittelamerika zusammen, deren Kaffee sie in Deutschland direkt vertreiben. Dadurch können die Initiativen den Bauern höhere Preise zahlen. Durch den direkten Kontakt kennen sie die Bedürfnisse der Produzenten und können die Preiskalkulation darauf abstimmen.

■  Wirklich solidarisch: Neben dem Import von Kaffee ist für Café Libertad die Informationsarbeit zur politischen und sozialen Situation der Produzenten ein wichtiges Anliegen. Café Libertad spricht daher auch von „solidarischem Handel“. Bestellungen und Infos unter www.cafe-libertad.de und www.oekotopia.org.

■  Wirklich wahr: Eine Studie über die realen Produktionskosten des Kaffees und der Preise, die im fairen Handel bezahlt werden, ist auf www.npla.de erhältlich.

VON THOMAS GUTHMANN

In die Verkaufsräume des Berliner Weltladens A Janela verirrt sich nur selten Laufkundschaft. Auch an diesem Morgen ist es ruhig im hellen Ladenlokal. Während Antje Moldrzyk einen Angebotskorb für Kaffee herrichtet, erzählt die Frau mit freundlicher Stimme, dass der Laden im Schnitt zwischen dreißig und vierzig Kunden pro Tag anzieht. „Die meisten haben sich bewusst für fair gehandelte Produkte entschieden“, erklärt Moldrzyk. Die Espressomaschine, die hinter der Ladentheke steht, fängt an zu rattern und Kaffee auszuspucken – ein würziger Duft liegt nun in der Luft.

Aus dem Büro hinter dem Verkaufsraum kommt Judith Siller, die Geschäftsführerin von A Janela. Seit drei Jahrzehnten engagiert sie sich im fairen Handel. Sie erinnert sich noch daran, wie die ersten Brigadisten Ende der Siebzigerjahre aus Nicaragua den Kaffee im Gepäck mit nach Deutschland brachten und ihn dort an befreundete Wohngemeinschaften verhökerten. „Damals ging es noch darum, Leute im Kampf gegen die Ausbeutung zu aktivieren“, erklärt sie, und dass sich seit dieser Zeit viel verändert habe. Verändert hat sich unter anderem, dass Fair-Trade-Kaffee heute in jedem gut sortierten Supermarkt angeboten wird. Allein in den vergangenen fünf Jahren stieg der Umsatz des fairen Handels in Deutschland um mehr als das Dreifache.

Dass dieses Wachstum für die Kaffeeproduzenten in Bolivien ein zweischneidiges Schwert ist, erfuhr Judith Siller bei einer Begegnung mit Kaffeeproduzenten in Bolivien. Auf einer vom Verein Gesellschaft für solidarische Entwicklung organisierten Begegnung trifft sie erstmals die Menschen, deren Kaffee sie verkauft.

Die Reise geht zu der kleinen Kaffeekooperative Alto Sajama, nördlich des Regierungssitzes La Paz gelegen. Seit zehn Jahren beliefert sie den fairen Handel in Deutschland – auch den Weltladen A Janela. Am Anfang hatten die Kleinbauern Schwierigkeiten. Sie hatten keine Erfahrung im ökologischen Anbau, und so ließ die Güte des Kaffees zu wünschen übrig. Doch mit Hilfe der Gepa, des größten deutschen Importeurs fair gehandelter Waren, gelang die mühevolle Umstellung auf ökologischen Kaffee und der Einstieg in den Export nach Deutschland.

„Unsere Eltern haben noch in Monokultur angebaut. Auch Brandrodung war normal. Heute kompostieren wir, das schont unsere Böden“, erzählt Don Jaime, der für die Aufzucht der Kaffeepflanzen der Kooperative verantwortlich ist. Die Anbaumethode erhöht nicht nur die Qualität der Kaffeebohnen. Sie erhält auch die Artenvielfalt und den Regenwald.

Don Jaime zeigt auf seine Kaffeebäume. Sie sind prall gefüllt mit üppigen roten Kaffeekirschen. Es wird eine gute Ernte geben. „Uns ist es gelungen, die Qualität so zu steigern, dass wir alles in den fairen Handel verkaufen können“, erklärt der junge Bauer, der in Flipflops und Fußballtrikot vor den Besuchern steht. Zehn bis zwölf Container liefert die Kooperative pro Jahr in die USA und nach Deutschland. Im Jahr 2009 erlebte der Kaffeepreis einen Höhenflug. Biologisch angebauter Kaffee von hoher Qualität ist teuer geworden. Eine komfortable Situation für die Produzenten, möchte man meinen.

Um so überraschter sind die Besucher aus Deutschland, als sie von den Bauern hören, dass der Preis, den sie für ihren Kaffee bekommen, kaum ausreicht. „Für diejenigen von uns, die eine Familie ernähren müssen, reicht das Geld kaum noch zum Leben“, erklärt Nieves, eine der Bäuerinnen der Kooperative. Dabei liegt der mit 1,80 US-Dollar pro Pfund weit über dem, was im fairen Handel als Mindestpreis festgelegt ist. Dieser liegt im Moment für Biokaffee je nach Sorte zwischen 1,31 und 1,55 US-Dollar pro Pfund.

„In vielen Regionen leiden die Produzenten zwei bis vier Monate im Jahr Hunger“

CHRISTOPHER BACON, BERKELEY

Christopher Bacon von der kalifornischen Berkeley-Universität ist davon keineswegs überrascht, denn er hat bei mehreren Studien über den Kaffeeanbau in Lateinamerika mitgewirkt: „In vielen Kaffeeanbauregionen Lateinamerikas leiden die Produzenten im Durchschnitt zwei bis vier Monate im Jahr Hunger.“ So schlimm ist es in Alto Sajama nicht, aber auch hier laufen den Bauern ihre Produktionskosten davon. Der Mindestpreis wurde zwar erst 2008 um 10 US-Cent erhöht, davor gab es jedoch eine Durststrecke, auf der die Preise zwölf Jahre lang nicht angepasst wurden. „Inflationsbereinigt ist der Preis dadurch deutlich gesunken“, meint Bacon.

Judith Siller aus Berlin hat die Begegnung mit den bolivianischen Produzenten ernüchtert: „Diese Gespräche zeigen, dass der faire Handel nicht ganz so viel bewegt hat, wie ich mir wünsche.“ Hier, wieder in ihrem Geschäft stehend, wirkt sie, als ob sie an der Richtigkeit ihres Engagements zweifelt. Ob es richtig ist, in Deutschland zu erzählen, der faire Handel sei für die Produzenten ein guter Deal? Nach kurzer Unsicherheit merkt sie mit fester Stimme an: „Zum fairen Handel gibt es keine Alternative.“

Und dieser Meinung ist auch Christopher Bacon: „Der faire Handel hat den Kleinbauern geholfen, ihre Qualität und ihre Organisationsstrukturen zu verbessern.“ Langfristig sieht er diese Errungenschaft jedoch in Gefahr: „Wir brauchen eine Angleichung der Preise an die Kosten der Produzenten. Hier ist in den letzten Jahren zu wenig geschehen. Der faire Handel muss für tragfähige Preise sorgen.“

Der Autor reiste auf Einladung der Gesellschaft für solidarische Entwicklung nach Bolivien