WEIN 1: DIE EU-KOMMISSION SETZT AUF QUANTITÄT STATT QUALITÄT
: Lob des echten Geschmacks

In Zukunft können wir uns jede Diskussion über europäische Werte sparen und stattdessen der unschlagbaren Logik der EU-Kommission folgen. Weine aus der „Neuen Welt“, so stellt sie fest, kommen beim Verbraucher gut an – also machen wir jetzt auch solche Weine. Indem Europas Winzer die USA und wohl bald auch China kopieren, sollen sie endlich wieder wettbewerbsfähig werden.

Mit der Beobachtung, dass in Europa zu viel Wein zu wenige Abnehmer findet, hat Brüssel durchaus Recht. Doch die Kommission hätte sich fragen müssen, wie es dazu gekommen ist. Seit Jahren wird die EU von Billigimporten aus Übersee überschwemmt. Sie konnten sich auf dem Markt nicht etwa durchsetzen, weil sie eine bessere Qualität aufweisen als die europäischen, sondern weil sie billiger sind und stärker beworben wurden.

Langsam, aber stetig hat sich so auch der Geschmack der europäischen Verbraucher geändert. Filigrane, elegante Rieslinge von der Mosel haben kaum noch eine Chance gegen die kraftstrotzenden, holzbetonten Chardonnays aus Kalifornien. In den USA werden seit drei Jahrzehnten so genannte Brands, Markenweine, gepusht. Wenn die Kommission diese nun auch in der EU stärker fördern will, ist das entgegen den Beteuerungen aus Brüssel keine grundlegende Reform, sondern zeigt nur, wie weit sie ihrer Zeit hinterher ist.

Dabei hätte die Kommission durchaus die Chance gehabt, sich als Vorreiter zu präsentieren – wobei es paradoxerweise genügt hätte, sich die jüngsten Entwicklungen auf dem amerikanischen Weinmarkt anzusehen. Dort erlebt der deutsche Riesling ein Revival, während die mit zu viel Holz ausgebauten Weine mit ABC, „Anything but Chardonnay“, „Bloß kein Chardonnay“ abgetan werden. Wenn alles gleich schmeckt, haben wohl auch die EU-Verbraucher bald wieder genug davon und schauen sich nach Alternativen um. In Deutschland werden zurzeit fast vergessene gebietstypische Rebsorten wiederentdeckt, die ganz neue Geschmackserlebnisse liefern. Sie nicht nur zu erhalten, sondern auch noch zu fördern – das wäre wirklich ein Beitrag zu dem, was die Kommission so gern im Mund führt: zu Europas Vielfalt, die Europas Wettbewerbsfähigkeit stärkt. SABINE HERRE