„Keine homogene Masse“

„Es ist schwachsinnig, die Ehrfurcht vor Gott ins Schulgesetz zu schreiben“

INTERVIEW NATALIE WIESMANN

taz: Was ist das Gute am neuen Schulgesetz?

Eleonore Chowdry: Wir freuen uns über die Idee, mit einer Fremdsprache, also mit Englisch in der ersten Klasse zu beginnen. Wenn das spielerisch vermittelt wird, sind wir damit zufrieden.

Sonst hört man von Euch nur Kritik. Was stört Euch zum Beispiel an der Oberstufenreform?

Luca Blumenthal: Mich stören am meisten die Pflichtfächer, die uns aufgebürdet werden: Mathe, Deutsch, eine Fremdsprache und eine Naturwissenschaft. Wenn ich mich für Sprachwissenschaft begeistere, bekomme ich Mathe aufgedrückt, das macht keinen Sinn.

Eleonore: Ich finde das Abitur in zwölf Jahren besonders problematisch. Bildung braucht Zeit. Wenn die Bildung nicht an Qualität gewinnt, dann bringt es nichts, das Abitur zu verkürzen. Außerdem haben wir in Zukunft ein Zwei-Klassen-Abitur. Die Wenigen, denen es gelingt, von der Realschule oder der Hauptschule aufs Gymnasium zu kommen, werden das in zwölf Jahren nicht schaffen.

Aber die meisten europäischen Länder haben eine kürzere Schulzeit.

Eleonore: Aber es ist doch jetzt schon so, dass viele sitzen bleiben. Wenn wir dann gleich viel Stoff in weniger Zeit lernen müssen, wird sich das noch verschlimmern.

Das Sitzenbleiben will die Landesregierung durch individuelle Förderung reduzieren.

Eleonore: Was für eine individuelle Förderung? Ich habe dafür noch kein Konzept gesehen. Wie soll das aussehen? Für jeden Schüler einen Nachhilfelehrer?

Wie die Grünen oder die Lehrerverbände GEW und VBE tretet ihr für die Auflösung des dreigliedrigen Schulssystem auf. Warum?

Luca: Wenn die Schüler länger zusammen und aus verschiedenen soziale Schichten sind, können sich dort die sozialen Fähigkeiten stärken, weil sich die Schüler gegenseitig bereichern.

Ihr beiden geht zum Gymnasium. Wollt Ihr wirklich mit schwächeren Schülern unterrichtet werden? Hättet ihr keine Angst, unterfordert zu sein?

Luca: Ich glaube, dass es das Problem der schwächeren Schüler nicht mehr gibt, wenn wir alle von Anfang an zusammengeworfen werden.

Hört sich schön an. Aber wird es nicht immer Leistungsunterschiede geben?

Eleonore: Aber die gibt es heute schon auf dem Gymnasium. Wir sind doch keine homogene Masse. Der Unterricht ist nicht auf jeden gemünzt. Wenn man davon ausgeht, dass jeder Schüler anders ist, kann man den Unterricht zusammenlegen und versuchen, voneinander zu lernen. Die jetzige Gesamtschule kann aber – das hat eine Studie des Max-Planck-Instituts bereits vor Jahren bewiesen – nicht in Konkurrenz zum dreigliedrigen System funktionieren...

...also könnte sie gleich abgeschafft werden?

Nein. Die Gesamtschulen müssen gestärkt und ausgebaut werden – damit Eltern immer noch die Möglichkeit haben, ihren Nachwuchs mit Kindern anderer Schichten zusammenzubringen.

Wenn Ihr mehr soziale Mischung wollt, warum seid Ihr nicht auf der Gesamtschule?

Luca: Die bestehende Gesamtschule ist nicht das, was ich mir wünsche. Selbst dort werden Haupt- und Realschülern und Gymnasiasten getrennt.

Eleonore: Wir beide sind zwar auf dem Gymnasium, aber in unserem Landesvorstand sind auch VertreterInnen von Gesamtschulen und Berufskollegs.

Wie geht es für Euch nach dem Abitur weiter?

Eleonore: Ich möchte Jura und Soziologie studieren.

Luca: Ich werde wahrscheinlich Politik, Philosophie und Germanistik auf Lehramt studieren.

In diesem verhassten Schulsystem willst du Lehrer werden?

Luca: Ich möchte da helfen. Wir brauchen neue Lehrer.

Und die neuen Lehrer werden das Schulsystem umwerfen?

Luca: Nein. Aber sie können den Alltag der Schüler und Schülerinnen schöner gestalten.

Bildungsministerin Sommer sagt, die gleichberechtigte Stimme von Schülern und Eltern in der Schulkonferenz habe sich nicht bewährt – und schafft die Drittelparität wieder ab.

Luca: Frau Sommer kann nach einem Jahr Gültigkeit noch lange nicht beurteilen, ob die Drittelparität in der Schulkonferenz etwas gebracht hat. Uns hat sie Demokratie gebracht.

Eleonore: Seitdem wir mehr Mitspracherecht haben, werden Anträge richtig vorgestellt und diskutiert. Eltern und Schüler sind motiviert, sich mit den Themen auseinander zu setzen, sich selbst eine Meinung zu bilden.

Warum sprecht Ihr euch eigentlich dagegen aus, dass die Empfehlung des Grundschullehrers aufgewertet wird?

Luca: Das ist sicherlich ein sehr umstrittenes Thema. Die einen finden es gut, weil sie glauben, die Lehrer können das aufgrund ihrer Fachkompetenz entscheiden...

Eleonore schüttelt den Kopf

Luca (zu Eleonore): Möchtest du mich korrigieren?

Es ist hier auch erlaubt, etwas Umstrittenes zu erzählen.

Eleonore: Wir sprechen aber hier nicht als Privatpersonen, sondern als LandesschülerInnenvertretung. Wir haben Beschlüsse. Es ist doch so: Die Lehrer und Lehrerinnen trauen sich doch gar nicht zu, die Kinder so früh zu selektieren. Sie sagen nicht: Der wird mit 18 Jahren Abitur machen, der andere aber nicht.

Nach dem neuen Schulgesetz sollen Kinder in Ehrfurcht zu Gott und in Liebe zu Heimat und Volk erzogen werden. Könnt ihr damit etwas anfangen?

Luca: Mit Ehrfurcht vor Gott kann ich etwas anfangen. Aber es ist schwachsinnig, sie ins Schulgesetz zu schreiben. Wenn man will, dass die Schule ein weltanschaulich neutrale Einrichtung ist, dann kann man die Schüler nicht zu Ehrfurcht vor etwas erziehen, an das sie möglicherweise gar nicht glauben.

Eleonore: Wenn die Landesregierung mit Ehrfurcht vor Gott das meint, was die Verfassung darunter versteht, also die Ehrfurcht vor etwas Höherem, an das jeder glauben kann oder eben nicht, wäre das in Ordnung. Aber ich glaube, dass die CDU damit den christlichen Gott meint, weil sie auch den Religionsunterricht stärken will.

Und was ist mit der Liebe zur Heimat und zum Volk?

Eleonore: Ich finde es wichtiger, dass wir weltoffener werden und dass die Integration besser funktioniert. Ich kann die Verfassung lieben, aber muss ich dann gleich den deutschen Boden lieben?

Seit Anfang des Monats gibt es in NRW ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen. Was haltet Ihr davon?

Eleonore: Wir wollen, dass die Schule als Ganzes bekenntnisfrei bleibt. Das heißt Ethikunterricht statt Religionsunterricht und keine religiösen Symbole. Was aber nicht geht, ist nur eine Religion auszuschließen. Das Kruzifix ist erlaubt, das Kopftuch verboten. Wo bleibt da die Gleichheit der Religionen vor dem Gesetz?

Würdet Ihr gerne von einer Frau mit Kopftuch unterrichtet werden?

Eleonore: Ich bin dagegen, wenn ein Frau mit Kopftuch mich unterrichtet. Das Gleiche gilt, wenn sie ein fettes Kreuz um den Hals trägt. Aber Kopftuch bedeutet deshalb nicht gleich Unterdrückung: Ich habe Freundinnen, die Kopftücher tragen. Die machen das aus religiösen Gründen. Das ist doch ein Vorurteil zu sagen, sie sind unterdrückt.

Luca: Ich wurde bereits von einer Frau mit Kopftuch unterrichtet. Das ändert nichts an der Kompetenz der Lehrerin. Es mag sein, dass manche Frauen mit Kopftuch unterdrückt werden, aber das Kopftuch als religiöses Symbol steht nicht für Unterdrückung.

Was haltet ihr von Schuluniformen? Die sind im neuen Gesetz ausdrücklich erlaubt.

Luca: Viele drücken sich durch ihre Kleidung aus und durch Schuluniform unterbindet man das. Das Problem ist ja das Mobbing in den Schulen. Wenn man daran was ändern will, muss man das Problem an der Wurzel packen und nach den Ursachen fragen: Warum mobbt ein Kind überhaupt?

Eleonore: Das Problem wird auch sein, dass die reichere Schule sich eine bessere Uniform leisten kann, zum Beispiel weil sie gesponsert wird. Damit werden die Schulen mehr als heute voneinander abgegrenzt. Außerdem: Die Rolex trägt immer noch der reiche Schüler, trotz Uniform.

Wie sieht für Euch die ideale Schule aus?

Eleonore: In meiner Traumschule gibt es Klassenverbände, die aus vielfältigen Menschen bestehen. Es müsste viel mehr selbstständigen Unterricht geben, die Zeit selbst eingeteilt werden können. In der Schule meiner Vorstellung bringt man sich gegenseitig etwas bei.

Luca: Die Architektur ist ein wichtiger Faktor. Die 70er-Jahre-Schule ist nicht mehr angesagt mit ihren langen grauen Fluren. Und der Frontalunterricht muss abgeschafft werden. Es müssen mehr Diskussionen geführt werden. Und die Mitbestimmung ist ganz wichtig.