berliner szenen Schneller altern in F‘hain

Der Aushang

Die Frau mit, der Mann ohne Brille. Sitzen sich gegenüber, nennen sich beim Namen. „Beim letzten Mal hast du ein T vergessen“, sagt die Schauspielerin, „ich heiße Stina, nicht Sina.“ „Oh“, macht Fabian und nickt im selben Moment der Bedienung zu, die sich mit einer staubigen Getränkekarte nähert. Eine zweite Bedienung hämmert hinter der Theke auf die Kaffeeabklopfschublade. Stina entscheidet sich für Karottensaft und erzählt von ihrem Lieblingsregisseur. Dabei schaut sie direkt in Fabians Gesicht, mit einem fortwährenden, schmeichelnden Lächeln, als ob sie ein Elektrizitätswerk verschluckt hätte. Streicht sich die Haare zurecht und markiert Figuren in der Luft. Und gibt dabei blumenumkränzte Sprechblasen von sich.

Fabian ist unkonzentriert. Am Fenster geht ein ungleiches Paar vorbei, sie trägt Rastalocken und eine Umhängetasche aus Stoff, die mit Stickern von Rockbands versehen ist; er trägt einen dunkelgrünen, verschlissenen Trainingsanzug. Auf der anderen Straßenseite beschnuppert ein zotteliger Hund leere Blumenkübel. In dieser Ecke der Stadt verändert sich so viel, aber es ist Zeit, Friedrichshain zu verlassen, sagt Stina jetzt, man merkt zu schnell, wie man älter wird. Die Häuser schminken sich, die Menschen beginnen sich zu reproduzieren. In Massen. „Ich glaube, in Kreuzberg vergeht die Zeit langsamer“, sagt Stina und steht auf, um in Richtung Toiletten zu verschwinden. Fabian schaut ihr hinterher, sie trägt einen Rock, er kann ihre nackten Waden sehen.

Unten in den Sanitärräumen zieht Stina ihren Lippenstift nach. Neben den Spiegeln klebt ein Aushang: „Schriftsteller sucht Mädchen für alles.“ Stina reißt den Zettel ab und geht wieder nach oben. Vielleicht ruft sie ja mal an. RENÉ HAMANN