Football’s coming down

Er galt als Sport für „Weiber und Schwule“ und hatte gegen Rugby keine Chance: Nun aber begeistert Fußball die Massen in Australien, nachdem sich die „Socceroos“ fürs Achtelfinale qualifiziert haben

AUS SYDNEY URS WÄLTERLIN

Ein von Patriotismus überreizter Taxifahrer in der morgendlichen „Rush Hour“ einer Großstadt – das ist eine ungesunde Kombination. Wenn George jetzt nicht deutlich vom Gas geht, wird es bald knallen. „Aussie, Aussie, Aussie“, brüllt er durch das offene Fenster dem Polizisten auf dem Gehsteig zu. Unter normalen Umständen würde der Beamte den wilden George wohl anhalten. Doch nicht heute. Er winkt zurück und ruft: „Oi, oi, oi“ – den Schlachtruf der australischen Sportfans. Der Passagier auf dem Rücksitz zittert.

In Sydney herrschte am frühen Freitagmorgen nach dem 2:2 zwischen Australien und Kroatien Massenhysterie. Selbst im Stau auf der Autobahn kam es zu spontanen Verbrüderungen zwischen Fußballfans. Und ein Fan war an diesem Tag so ziemlich jeder. Das unglaubliche Ergebnis – fast alle Kommentatoren hatten mit einer Niederlage gerechnet – hat auf einen Schlag bewirkt, was Generationen von Spielern nicht gelungen war: Fußball hat sich an diesem Morgen den Respekt Australiens geholt. Ein Sport für „Weiber und Schwule“ sei die Jagd um den runden Ball, hatte noch vor kurzem ein Kommentator gelästert. „Wogs“ würden Fußball spielen, Einwanderer vor allem aus Südeuropa, und deren in Australien geborene Kinder. Richtige Australier spielten Rugby – drei verschiedene Arten.

Rugbyspieler sind meist bullige Männer, oft mit deutlich mehr Muskeln ausgerüstet als mit Verstand. Spieler und Fans feiern ihre Siege aus Tradition im Macho-Stil: mit der einen Hand am Bier und mit der anderen an der Freundin. Und dann ist da noch Cricket. Für Uneingeweihte ist dieser Massensport so interessant, als würde man einer frisch gemalten Wand beim Trocknen zusehen.

Dass die Nationalmannschaft schon zwei Minuten nach dem Abpfiff im australischen Boulevardrundfunk als „Helden“ bezeichnet wurden, „in der stolzen Tradition der australischen Soldaten“, muss nicht erstaunen. Premierminister John Howard rief sofort in Stuttgart an und gratulierte – so, wie er eben auch seinen Soldaten im Irak und in Afghanistan gratuliert. Australier lieben die Mischung von Sport, militärischer Tradition, Heldentum und Patriotismus. Ein „Underdog“, der mit Geschick und Chuzpe trotz widriger Umstände das Unerreichbare erreicht, ist in Australien beliebter als Nicole Kidman.

„Wer heute zur Arbeit geht, ist selber schuld“, plärrt es aus dem Radio im Taxi, während George wieder voll aufs Gas drückt. Tatsächlich machten hunderttausende Arbeitnehmer an diesem Morgen einfach blau.

Das war wohl auch besser so. Nicht wenige waren schon um sieben Uhr früh stockbetrunken. Denn die Übertragung aus Deutschland hatte um fünf Uhr Ortszeit begonnen. Wer das Spiel nicht zu Hause auf dem Plasmafernseher schaute, wagte sich in die winterliche Kälte. In den Innenstädten der Städte Sydney und Melbourne feierten zehntausende in der Dunkelheit vor Großbildschirmen den Sieg. Mit der einen Hand am Bier, mit der anderen an der Freundin. Fußball ist endlich auch in Australien angekommen.