Wachsender Widerstand in Afghanistan

Alliierte Truppen führen die größte Militäroffensive gegen die Talibanmilizen seit 2001. Staatspräsident Karsai kritisiert die internationale Antiterrorstrategie und verweist auf die Mitschuld Pakistans daran, dass der Rückhalt der Taliban wächst

VON ANTJE BAUER

Fast 1.000 Todesopfer haben in diesem Jahr Gefechte und Anschläge in Afghanistan gefordert – Anzeichen für eine zunehmende Destabilisierung des Landes. Ein Teil dieser Toten geht auf die Großoffensive der alliierten Truppen im Süden und Osten Afghanistans zurück, durch die Lager und Unterschlupfe der islamistischen Taliban vernichtet werden sollen. An der Operation „Mountain Thrust“, der größten seit dem Sturz der Taliban 2001, sind mehr als 10.000 Soldaten beteiligt. Auch im bislang als relativ sicher geltenden Norden sind die Widerständler auf dem Vormarsch, wie kürzlich Anschläge auf Truppen der Bundeswehr in den nordafghanischen Orten Masar-i-Scharif, Kundus und Feisabad zeigten. Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung verteidigte jedoch den Verbleib der knapp 2.800 deutschen Soldaten in Nordafghanistan und schätzte den Zeitraum einer deutschen Truppenpräsenz auf weitere fünf Jahre.

Im Süden und Osten des Landes scheinen die Taliban so weit wieder Fuß gefasst zu haben, dass sie in einzelnen Orten wieder die Kontrolle übernommen haben, einschließlich einer auf einer fundamentalistischen Interpretation des Korans fußenden Gerichtsbarkeit. Aus Sicherheitsgründen haben sich internationale NGOs im Laufe der letzten Monate aus vielen Orten zurückziehen müssen. Im Norden hingegen hat das Anti-Opium-Programm der afghanischen Regierung Unmut ausgelöst: Die Drogenbarone heuern Milizionäre an, um den Widerstand gegen das Militär zu führen. Doch auch die Bevölkerung, die in den letzten Jahren wieder zunehmend Schlafmohn angebaut hat, ist aufgebracht, weil afghanische Soldaten zwar Mohnfelder umpflügen, aber keine Ersatzprogramme angeboten werden. Im vergangenen Jahr war die Anbaufläche für Schlafmohn um ein Fünftel zurückgegangen, hat aber in diesem Jahr wieder zugenommen; Afghanistan bleibt weiterhin der größte Produzent der Welt. Den Exportwert des Opiums schätzte das UN-Büro für Drogen und Kriminalität im vergangenen Jahr auf 2,7 Milliarden Dollar – mehr als die Hälfte des offiziellen Bruttosozialprodukts Afghanistans. Nach einer Nachricht des US-Senders ABC ist offenbar auch Wali Karsai, ein Bruder des Staatspräsidenten, in den Drogenhandel verstrickt. Dahingehende Informationen seien auf einem USB-Stick aufgetaucht, der auf einem Basar bei Kabul verkauft worden war.

Staatspräsident Hamid Karsai versuchte auf einer Pressekonferenz am Donnerstag, ausländischen Akteuren die Hauptschuld an der schwierigen Situation Afghanistans zuzuweisen: Die Regierung erhalte nicht genügend Mittel zum Aufbau von Polizei und Armee. Ferner beklagte er einen Mangel an strategischen Entscheidungen zur Bekämpfung des Terrorismus seitens der internationalen Gemeinschaft – ein Verweis auf das Nachbarland Pakistan. Im Grenzgebiet Pakistans zu Afghanistan scheint sich der Einfluss der radikalen Islamisten weiter zu verstärken und die Taliban scheinen wieder massiv Zulauf zu bekommen.

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