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: Im gelobten Video-Land

Nie schien er so wertvoll wie heute: der Videobeweis. Er soll der Königsweg sein, meinen seine Befürworter, in der Diskussion um die tatsächlich kläglichen Schiedsrichterleistungen bei dieser WM. Dazu verweisen die Videobeweisapologeten gern in die Ferne, über den großen Teich. Dort, in den USA, da liege es, das gelobte Land, wo der Videobeweis eingeführt ist, alle Probleme gelöst seien und Gerechtigkeit herrsche im Sport.

Tatsache ist: In allen großen amerikanischen Profi-Ligen, ja sogar im Rodeo-Sport, können die Schiedsrichter unter gewissen, streng geregelten Umständen zur Entscheidungsfindung auf TV-Bilder zurückgreifen. Aber: Die Diskussionen um Schiedsrichterleistungen sind auch dort – trotz modernster Technik – nicht weniger geworden.

Die umfangreichste technische Unterstützung gewährt die Football-Liga NFL ihren Schiedsrichtern. Dort wurde bereits seit den Achtzigerjahren mit dem Videobeweis experimentiert, das aktuelle System dann 1999 eingeführt. Jede Mannschaft kann pro Spiel zwei Referee-Entscheidungen überprüfen lassen. Dann trabt der Oberschiedsrichter zu einem Bildschirm in einer Ecke des Stadions und lässt sich Wiederholungen, „instant replays“, der strittigen Szene zeigen. Eine Prozedur, die manchmal bis zu zehn Minuten in Anspruch nimmt, das Spiel unterbricht und den Rhythmus der Mannschaften zerstört.

Aber nicht nur wegen der Verzögerung ist das „instant replay“ auch mehr als ein Jahrzehnt nach seiner Einführung immer noch umstritten. Problematisch bleibt vor allem, dass allzu viele Entscheidungen auch nach Ansicht aus verschiedensten Kamerablickwinkeln noch uneindeutig bleiben. Natürlich würde der Videobeweis allzu krasse Fehler der Unparteiischen verhindern. Aber solche wirklich eindeutigen Fehlentscheidungen sind im Football fast ebenso selten wie im Fußball. Auch auf TV-Bildern bleibt jeder dritte Abseitspfiff noch eine Interpretationsfrage. In den USA plädieren deshalb einige Footballexperten wieder für die Abschaffung des Videobeweises.

Der wurde im Baseball erst vor zwei Jahren eingeführt und seitdem nur in sehr wenigen, speziellen Situationen angewendet. Denn hier sperren sich – ähnlich wie die Fußball-Gralshüter von der Fifa – die Puristen gegen eine Ausweitung. Sie fürchten, das eh schon gemächliche Spiel könnte dann vollständig zum Stillstand kommen.

Die amerikanischen Erfahrungen haben eine Botschaft: Durch den Einsatz der Technik kann der menschliche Faktor zwar reduziert werden. Doch das Gerechtigkeitsproblem des Sports wird dadurch nicht gelöst. Die Diskussionen gehen weiter. Mit Lust. Gerade auch im gelobten Land. THOMAS WINKLER