piwik no script img

Die Freiheit der Produzenten

SOZIALISMUS Wie managt man das Volkseigentum? Wenn sich Kombinatschefs erinnern, tut sich ein Klassenspalt auf

„Unternehmerische Freiheit ist ein Irrtum, der auf Informationsmangel beruht“, meinte Helmut Gröttrup

VON HELMUT HÖGE

„Nothing’s gonna change my world“, sangen erst die Beatles, dann Laibach. Auch die letzten Generaldirektoren der großen DDR-Kombinate hätten das gesagt haben können, auf der Konferenz „Das Rote Wirtschaftswunder“, die am 8. Dezember im Gebäude des Neuen Deutschland am Franz-Mehring-Platz stattfand. Ich meine das nicht negativ, im Gegenteil. Der Jargon der Kombinatschefs ist dennoch milder, oder soll man sagen: in 23 neoliberalen Jahren außer Dienst nachdenklicher geworden?

Eine Kombinatsleiterin war darunter, Christa Bertag vom VEB Kosmetik-Kombinat Berlin. Sie hatte ihren Enkel mitgebracht, der dann an einem der „runden Tische“ saß, an denen zwischendurch junge Genossen mit den „roten Wirtschaftslenkern“ über „Produktivität und Volkseigentum“ diskutierten. Die alten Genossen stammten einst aus „bildungsfernen Schichten“, wie die Moderatorin Daniela Dahn erklärte. Während ihrer Arbeiterkarriere hatten sie fast alle ihren Doktor und Professor gemacht. Quasi freigeistig dachten sie nun noch einmal „volkswirtschaftlich“ darüber nach, wie die „Versorgung der Bevölkerung“ zu gewährleisten wäre – etwas, was es genauso wenig wie die DDR als „Geschlossenen Handelstaat“ noch gibt. Mir fiel der Begründer der Nationalökonomie, Adam Smith, ein: „Unternehmer müssen dumm sein, je dümmer, desto erfolgreicher!“ (In betriebswirtschaftlicher Hinsicht, die Intelligenz kommt vom Markt.) Ähnlich dachte auch der nationalsozialistische und dann sowjetische Lenkwaffenforscher Helmut Gröttrup, als er Anfang der Siebzigerjahre vor Hamburger Geschäftsleuten ausführte: „Die unternehmerische Freiheit ist ein bloßer Irrtum, der auf Informationsmangel beruht.“ (Er erfand später für Siemens den Geldautomaten.)

Was ist dagegen aber die arbeiterliche Freiheit? Das kam auf der Konferenz der Kombinatsdirektoren natürlich, möchte man fast sagen, nur am Rande zur Sprache. Bis dahin, dass Worte wie „Gleichmacherei“, „Stechuhr“, „Entlassungsrecht“ und schlimmere fielen (zur Verbesserung der „Arbeitsintensität“).

Dafür kamen jedoch am Schluss noch drei Arbeiterporträts in Form von Dokumentarfilmen aus der Maxhütte zur Vorführung, die der Regisseur Joachim Tschirner in den Achtzigerjahren gedreht hatte. Der erste handelte von Katrin (23), einer Steuerin des Blockwalzwerks. Dieses munter-rauchende Dorfkind bewies einem in nur fünf Minuten, dass wir erbärmlich hinter der DDR zurückgefallen sind – statt sie zu überholen, wie die Werftarbeiter sagen würden. Ihr Ende war ja noch ganz lustig. Man wüsste nun aber gerne, was Katrin heute macht.

Solche Fragen hatten sich die letzten Betriebsratsvorsitzenden der DDR-Großbetriebe, die quasi die letzten Kombinats-Direktoren abgelöst hatten (hätten sollen – laut Stefan Heym), zuhauf gestellt, als sie sich auf einer Tagung der Historikerin Ulla Plener über „Die Treuhand – der Widerstand in Betrieben der DDR“ trafen. Dort wunderten sie sich: Wo sind sie alle geblieben, die Betriebsräte, die sich ab 1990 gegen die (Immobilien-)Privatisierungspolitik der Treuhand in der „ostdeutschen Betriebsräteinitiative“ organisiert hatten, bis drei Jahre später, nach „Bischofferode“, so gut wie keine Großbetriebe mehr übrig geblieben waren. Sie sind in alle Winde verstreut. Die mühsame sozialverträgliche Abwicklung der Belegschaften war nur eine Episode in ihrem Arbeitsleben.

Schon bevor die Betriebsräte überhaupt gewählt wurden, hatte z. B. der Direktor Günter Ubl vom VEB Fischkombinat Rostock seinem Minister zwei Varianten vorgeschlagen, damit nicht länger ein Stück Fisch zum Preis von 1 Mark mit 1,70 Mark subventioniert werden musste: 1. Investitionen in Schiffe, Gebäude, Maschinen in Höhe von 3,6 Milliarden Mark – unmöglich zu bewilligen. 2. Ähnlich wie zuvor die BRD: die Fischereiflotte versenken und Fisch importieren – das hätte jedoch die DDR „politisch erpressbar“ gemacht. Wie, das bewies nicht nur die Cocom-Liste für Embargogüter, die alles illegal eingekaufte West-Hightech für die DDR enorm verteuerte. So kostete z.B. eine Produktionsstrecke für Energiesparlampen regulär 6 Millionen DM, heimlich via Schalck-Golodkowskis „KoKo“ besorgt musste Narva jedoch 21 Millionen dafür zahlen. Einen nicht einmal illegalen Fisch-Import erwähnt der ehemalige Direktor des Rostocker Aquariums Karl-Heinz Tschiesche in seinen Erinnerungen: Für einen Korallenfisch, der im Westen 18 DM kostete, musste er dem dortigen Händler 220 DM zahlen, weswegen die DDR-Seeoffiziere und ihre Frauen ihn schließlich umsonst mit exotischen Lebendfischen versorgten.

„Es ist nicht richtig, wenn Rendite und Profite sowohl die Zielstellung als auch den betrieblichen Alltag bestimmen“, schrieb der ehemalige Generaldirektor des Schwermaschinenkombinats Sket Magedeburg Eckhard Netzmann in seinem Beitrag für den ersten Band mit Texten von Kombinatsdirektoren, der unter dem Titel „Jetzt reden wir“ eben in der Edition Berolina erschienen ist (weitere folgen). Andererseits wurde die Rundumbetreuung der Werktätigen in den Kombinaten „von der Wiege bis zur Bahre“ als produktivitätshemmend begriffen, unter anderem von Prof. Dr. Karl Döring, Generaldirektor des VEB Bandstahlkombinats „Herrmann Matern“, der den dadurch verursachten Anteil am „Rückstand“ (zur BRD) mit 25 Prozent veranschlagte.

Desungeachtet produzierte die DDR-Schuhindustrie subventioniert ständig weiter in die Tiefe und Breite. Während die BRD-Schuhindustrie kurzerhand „in den Orient abhaute,“ wie Joachim Lezoch, der Generaldirektor des VEB Kombinats Schuhe Weißenfels, es ausdrückte. Ein anderer Generaldirektor begriff dieses „Weitermachen“ (H. Marcuse auf seinem Grabstein) durchaus positiv als: „Mit eigenen Mitteln möglichst viel Potential erschließen“. In Weißenfels ist heute nebenbei bemerkt bis auf das mit Kamelhaarpinseln renovierte Schloss und das Denkmal für den Erfinder der Gehörlosensprache so ziemlich alles in den Okzident abgehauen.

In der ostdeutschen Betriebsräteinitiative überprüften wir bis 1993 die Hypothese: „Die DDR ist nicht an zu viel Unfreiheit (Demokratiemangel) untergegangen, sondern an zu viel Freiheit – im Produktionsbereich nämlich.“ „Ja“, meinte etwa der Betriebsratsvorsitzende von Opel Eisenach, der zuvor im VEB Automobilwerk Eisenach arbeitete: „In meiner Abteilung waren wir zu zehnt, obwohl nur für drei Arbeit da war.“ Ich selbst machte in der LPG „Florian Geyer, Saarmund“ die Erfahrung, dass wir die Arbeit unserer elfköpfigen Brigade in der Vormast auch mit sechs Leuten geschafft hätten. Dafür war jedoch das Brigadeleben äußerst „kommunikativ“. Was man von einem Arbeiter- und Bauernstaat aber auch billigerweise erwarten durfte, zumal in seinem letzten Aufbegehren, der auch vom „Mitentscheiden der Produzenten“ (F. Engels) geprägt war. Was der ehemalige Staatssekretär im Ministerium Erzbergbau, Metallurgie und Kali, Dr. Klaus Blessing, der auf der Konferenz der Kombinatsleiter mitdiskutierte, schlicht für einen „Unsinn“ hielt. Der ehemalige Betriebsrat des Berliner Tierparks, Patric Müller, jedoch für „äußerst sinnvoll“.

In Summa: Vor dem Hintergrund der inzwischen von Ulla Spener als Buch veröffentlichten Berichte der ostdeutschen Betriebsräte tat sich bei manchen Rückblicken der DDR-Generaldirektoren ein Klassenspalt auf. Abgesehen davon gilt inzwischen aber bloß noch: „Während Lebensgeschichten von West-Unternehmern eine große Leserschaft finden, sind die ostdeutschen Wirtschaftslenker vergessen.“ Das will Katrin Rohnstock, Inhaberin des Berliner Biografie-Unternehmens „Rohnstock-Biografien“, ändern. Sie bringt auch nach ihrer Konferenz und dem ersten von ihr herausgegebenen Sammelband weiter Erinnerungen und Gedanken von Kombinatsleitern in die Scheuer.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen