piwik no script img

ausgehen und rumstehenQuod erat demonstrandum: Hupfdohlen mit Wurstattrappen sind nicht der Inbegriff von Erotik

Freitag ging’s ins Schlüpfertheater. „Belle et fou“ heißt die neue Tourifallenshow am Potsdamer Platz. Die musste vor einigen Wochen, direkt nach der Eröffnung, so extrem miese Kritiken einstecken – sogar von in Oben-ohne-Belangen eigentlich völlig schmerzfreien Zeitungen –, dass einem alle Beteiligten von vornherein Leid taten. Es gab aber einen „Relaunch“ (was sagte man eigentlich früher dazu?), und so saß ich um zehn gespannt wie ein sexy Flitzebogen in meinem kleinen Loungesessel, ließ mir Babyhäppchen sexy Essen servieren und observierte die komischen Geschäftsleute und „Wir wollen wat erleben“-Pärchen um mich herum.

Zuerst kam eine Djane, die quasi nur eine Kohlefaserbürste anhatte und so tat, als ob sie sexy Platten auflegt. Dann wurden Bilder von schwülen Etablissements auf weiße Jalousien projeziert, die die Bühne bedeckten und aussahen wie ein Cure-Cover aus der schlimmen „Let’s go to bed“-Phase. Und dann kamen Hupfdohlen und tanzten, bis ihnen die BHs runterfielen und die Hemden aufplatzten. Ein paar Marienfelderinnen mit peppigen Kurzhaarfrisuren in der letzten Reihe fanden’s spitze und johlten wie bei den Chippendales. Nicht so gut kam allerdings der Moderator an, ein Mann mit Zopf und Berliner Zungenschlag, der vielleicht mit sechs Promille und sieben Dioptrien von weitem ein wenig an Antonio Banderas erinnern konnte.

Der Mann erzählte von Berlin als Sündenbabel des Jahrhunderts und wollte quasi eine Brücke von den 20ern bis zur Neuzeit schlagen, vergaß aber schon nach fünf Minuten sein Konzept. Nach den Filmcollagen mit Josephine Baker-Bildern und ein paar weiteren Tanzeinlagen – da wähnte ich mich schon in den 80ern – brachte er eine Hommage an Marlene Dietrich. Verwirrend war die Choreografie dazu: Ein dünnes Model in Solo-Sunny-Kleid und -Perücke trat vor ein Mikrofon und verschmähte zur Musik abwechselnd Blumen, Champagner und Wurstattrappen. Skurril. Aber ach, dachte ich nach einer Weile Hocken, den TänzerInnen ist kein Vorwurf zu machen: Wenn ich jeden Tag zweimal zwei Stunden in diesem Affenzahn herumspringen müsste, sähe ich auch so Showballetteusen-mäßig aus. Und die Schlangenmenschen und die Musik sind ebenfalls okay … Nur erotisch ist das alles kein Stück.

Vielleicht lag’s daran, dass ich Erotik ohnehin nicht mag, Sex gefällt mir weitaus besser. Außerdem sind wir langweiligen frustrierten Heterofrauen mit busennackten schlanken Tanzmäusen und glatt rasierten schwulen Tänzern nicht richtig zu kriegen. Kann ja sein, dass bei dem mit offenem Mund starrenden 70-Jährigen am Nebentisch nach der Show einiges ging, ich war um Mitternacht immer noch nicht scharf wie ein Krummschwert, wen es interessiert.

Samstag ging ich als Zugabe schnell noch mal ins Bassy, denn die machen leider, leider Ende des Monats zu, weil nach Mitte erstens keiner mehr kommt und zweitens die wenigen, die kommen würden, angeblich im unangenehm verkommerzialisierten White Trash versacken. Ich guckte mir einen Teil der „Boheme Sauvage“-Veranstaltung an, bei der sich alle als mondäne Al Capones und Anita Berbers verkleiden und zu origineller 20er- und 30er-Musik tanzen müssen. Ganz schön schwierig, aber die Busladung amerikanischer High SchülerInnen, die man kurz vorher dort abgeladen hatte, fand es sehr lustig und denkt jetzt wahrscheinlich, das sei typical Europe.

Einer Freundin wurde bei der integrierten Zaubershow später noch telepathisch ein Name aus dem Kopf gezogen, an den sie gedacht hatte, aber haha!, nicht mit mir!, das war natürlich irgendein ausgefuchster Trick! Wenn auch ein echt guter. JENNI ZYLKA

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen