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jazzkolumneEs geht um Entertainment

Die Musik darf nicht stören: Ein Besuch bei Real Jazz, dem Radiosender, auf dem Bob Dylan als DJ und Moderator auftritt

Ornette Colemans „Song X“ hat er nicht im Programm. Der afroamerikanische Radioprofi Maxx Myrick ist Programmchef von „Real Jazz“, einem der über 30 Radioformate, die rund um die Uhr von XM Satellite gesendet werden. Gegen eine monatliche Gebühr kann man „Real Jazz“ auch online hören, die eigentliche Zielgruppe sitzt jedoch während der Rushhour im Auto, telefoniert oder snackt und hört nebenbei Radio. Um XM Satellite hören zu können, braucht man besondere Radioempfänger, manche Autofirmen statten ihre Pkws schon serienmäßig für XM Satellite aus.

Einige Tage vor der jährlichen New Yorker Party der amerikanischen Jazzjournalistenvereinigung (JJA), die vor einer Woche im B.B. King’s Club Bar and Grill am Time Square stattfand, hat Myrick den JJA-Präsidenten Howard Mandel on air. Myrick sendet jeden Werktag live, bis auf eine wortlose Nachtschiene und vier Stunden, die von einem Moderator aus einem der über 80 XM Satellite-Studios in Washington D.C. bedient werden, ist Myrick eigentlich ständig auf „Real Jazz“ zu hören. Meist sind es ja nur kleine Wortschnipsel, Ansagen der Stücke und Nennung der Radiostation, die er vorher aufnimmt und zwischen die Stücke montiert. Ein Live-Interview wie das mit Mandel gehört zu den raren Ausnahmen im Programm. Und auch wenn Myrick Mandel nach den Stücken fragt, die er anlässlich dieses Beitrags zur zehnten „Celebration of Excellence in Music and Journalism“ spielen könnte, stockt er oft. Nicht verfügbar oder Zugriff verweigert gehört zu den Rückmeldungen auf seinem Monitor, das Real-Jazz-Archiv ist streng formatiert und dadurch stark begrenzt.

Doch für Myrick ist das kein Problem. Es geht vor allem um Entertainment, sagt er, und wenn man danach gehe, was die Hörer sich wünschen, dann würden „Take Five“ und „Blue Train“ von morgens bis abends laufen. Wenn er um 17 Uhr die New Yorker in den Feierabend begleitet, gehen seine Hörer in Los Angeles gerade in die Mittagspause. Das müsse alles bedacht werden, berichtet Myrick, der gemeinsame Nenner ist Blues und Swing, und es dürfe auf keinen Fall zu kopflastig werden: Das Schlimmste sei, wenn die Hörer sich durch die Musik gestört fühlen. „Song X“ war als Re-Issue des Jahres für einen Jazz Award der JJA nominiert und gewann auch, ein anderer Vorschlag von Mandel war Sonny Rollins. Von seiner aktuellen CD „Without a Song – The 9/11 Concert“ spielte Myrick „Why Was I Born“ – nonstop über 16 Minuten lang. Als Mandel jedoch fragte, ob er on air Karten für die Festivität der JJA zum reduzierten Preis von 75 statt 200 Dollar anbieten dürfe, kam Myrick ins Grübeln. Stücke von 16 Minuten Dauer seien kein Problem, jede Art von Werbung hingegen schon. Doch in diesem Fall wird eine Ausnahme gemacht – ein von Wynton Marsalis gesprochener Station-ID ist zu hören, und weiter geht es in dem Radio.

Zu den Highlights gehören Sendungen mit Quincy Jones und ganz aktuell die themenorientierten Shows mit Bob Dylan als DJ und Moderator, die auch im New Yorker Studio zusammengeschnitten werden. Dylan spricht die Moderation zu Hause ein, doch die meisten Platten, die er aus seiner Sammlung auswählt, müssten in New York erst mal aufwändig gesäubert werden, damit der Sound wieder stimmt. In jüngster Zeit macht XM Satellite, dessen New Yorker Studios im Jazz at Lincoln Center Komplex im Time Warner Building am Columbus Circle gelegen sind, auch Live-Aufnahmen im Haus – vorgestern erst wurde mit Panoramaview auf Midtown Manhattan die nächste Live-CD des Wynton Marsalis Septet aufgenommen.

Das Kontrastprogramm zu „Real Jazz“ gibt es übrigens bei WKCR, dem College Radio der Columbia University. Anders als XM Satellite gibt es WKCR noch terrestrisch in Manhattan und als kostenlosen Live-Stream im Internet (www.wkcr.org). WKCR spielt zwar auch Klassik und Dub, doch die meisten Sendungen im Tagesprogramm sind jazzorientiert. Der Jazzhistoriker Phil Schaap moderiert dort jeden Werktag zwischen halb 9 und 10 seine Sendung „Bird Flight“ – eine Hommage an die Musik von Charlie Parker, mit der er seit mittlerweile fast 35 Jahren ehrenamtlich on air ist. In „Bird Flight“ ist der Wortanteil fast 50 Prozent, manchmal redet Schaap 30 Minuten am Stück über die Besonderheiten eines Parker-Klassikers wie „Hot House“ und spielt den Titel dann in verschiedenen Versionen hintereinander.

Dass die diesjährige Jazz-Awards-Verleihung der amerikanischen Jazzjournalisten am superteuren Time Square gefeiert wurde, mag angesichts solcher Zustände verwundern. Als man vor zehn Jahren damit begann, war man noch ganz underground in der Wohnung eines Kollegen. Jetzt kommen hier mehrere hundert Musiker, Produzenten, Manager, Festivalmacher und Journalisten zum jährlichen Come Together – und ernst und gut gemeinte Auszeichnungen werden an die Community verliehen: Sonny Rollins wurde diesmal zum Musiker und Tenorsaxofonisten des Jahres gewählt.

CHRISTIAN BROECKING

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