Konsumieren als Vollzeitjob

UNIVERSITÄT Ulf Schrader und sein Team forschen und lehren an der Technischen Universität über nachhaltigen Konsum

Es ist 50-mal so gut für das Klima, Tomaten zu essen, wie Rindfleisch

VON NORA GROSSE-HARMANN

Das Büro von Professor Ulf Schrader ist groß und aufgeräumt. Der schwarze Schreibtisch sieht aus, als hätte man gerade erst drübergewischt. Ein eleganter Flachbildschirm ziert die Schreibtischplatte: „Der Computer ist an eine Steckerleiste mit Kippschalter angeschlossen, damit ich den Stromverbrauch besser regulieren kann“, sagt der 42-Jährige.

Schraders Fachgebiet am Institut für Berufliche Bildung und Arbeitslehre an der Technischen Universität Berlin (TU) ist seit April das erste bundesweit mit den Worten „nachhaltiger Konsum“ im Titel. Es gibt Seminare und Vorlesungen für Arbeitslehre-StudentInnen an, beispielsweise über Konsumökologie, Ernährungs- und Lebensmittellehre oder Bauen und Wohnen.

Im siebten Stock des TU-Gebäudes in der Franklinstraße findet an diesem Tag das Seminar „Konsumökologie“ statt. Professor Schrader wirkt angespannt. Das letzte Seminar fiel wegen Christi Himmelfahrt aus und die Studenten sollen ihre Ideen für ein Forschungsprojekt präsentieren. „Mal gucken, ob überhaupt irgendwer etwas gemacht hat“, murmelt der Wirtschaftswissenschaftler. Doch sein Pessimismus erweist sich als überflüssig: Fast alle Seminarteilnehmer haben sich vorbereitet. Bis Semesterende werden sie verschiedene Umwelt-Initiativen im Hinblick auf ihre Nachhaltigkeit untersuchen.

Für die 24-jährige Lehramts-Studentin Stephanie Asmuß scheint Nachhaltigkeit eine ganz neue Materie zu sein: „Durch die vielen Veranstaltungen zum Konsum setze ich mich das erste Mal bewusster damit auseinander“, sagt sie. Ihre zukünftigen Schülern will sie von der Pike auf beibringen, wie man nachhaltig lebt. „Unser Prof sagt immer, dass nachhaltiger Konsum ein Vollzeitjob ist“, ergänzt Tönnes. „Er betrifft alle Lebensbereiche.“

Die Studentinnen haben sich für ihr Projekt eine Initiative ausgesucht, die sich für Klimaschutz an Schulen einsetzt. Um zu untersuchen, ob die Initiative wirklich nachhaltig ist, orientieren sie sich an im Seminar vorgegebenen Kriterien: Bringt das Projekt soziale und ökologische Vorteile? Ist es von Dauer? Hat es Verbreitungspotenzial? Verkörpert es einen neuen Lebensstil?

„Das Projekt, das wir ausgesucht haben, funktioniert so: Wenn Schüler und Lehrer ihre Schule klimafreundlicher gestalten wollen und sich dafür bei der Initiative bewerben, gibt es Fördergeld“, erklärt Tönnes. Demnächst wollen die Studentinnen an die Schulen gehen, die das Fördergeld bereits erhalten haben, und Interviews führen.

Einer der befragten Studenten sitzt dagegen eher ungern im Seminar: „Mich interessiert nachhaltiger Konsum nicht“, sagt er. „Ich glaube auch, dass das finanziell gar nicht machbar ist. Außerdem esse ich kaum Obst und Gemüse und achte nicht darauf, wie viel Wasser ich am Tag verbrauche.“

Nachhaltig konsumieren – das heißt für Schrader, negative ökologische und soziale Effekte zu vermeiden sowie positive zu fördern. „Konkret bedeutet das für mich, nicht nur Biolebensmittel zu kaufen, sondern bei Unternehmen auch nachzuforschen, ob es dort Kinderarbeit gibt, und in einem solchen Fall meinen Einkauf dort zu vermeiden“, erläutert der Professor.

Bei all den Gütesiegeln und verschiedenen Bioprodukten wüssten viele Menschen allerdings nicht, was wirklich nachhaltig ist, meint Schrader. „Wenn man keine Ahnung hat, dass der Verzehr von Tomaten 50-mal klimafreundlicher ist als der Verzehr von Rindfleisch, dann wird man auch nicht darüber nachdenken, wie viel Rindfleisch man isst.“

Um den Studenten Nachhaltigkeit beizubringen, gibt es im Institut eine Lehrküche und eine Textilwerkstatt, in denen sie kochen und nähen lernen. Das sei das Prinzip der Arbeitslehre: in der Theorie Erlerntes praktisch umzusetzen. „Wer in der Textilwerkstatt einmal ein T-Shirt genäht hat, weiß, dass etwas faul sein muss, wenn es im Laden nur 2 Euro kostet“, sagt Schrader.

In der Forschung stehen die Bereiche Ernährung, Bauen und Wohnen, Textilien, Bekleidung und Mobilität im Vordergrund.

Im Moment läuft ein Forschungsprojekt, in dem Schrader und seine Mitarbeiter untersuchen, wie potenzielle Bewohner in den Bauprozess eines Passivhauses besser einbezogen werden können. „Passivhäuser sind Häuser, die wegen einer guten Wärmedämmung so gut wie keine zusätzliche Heizung benötigen“, erklärt er. Im Internet gebe es dazu bereits eine Art Baukasten, mit dem man digital ein Haus entwerfen und gleichzeitig den Energieverbrauch berechnen kann. Ziel der Forschung sei herauszufinden, wie man den Passivhausstandard auf dem Massenmarkt etablieren kann.

Vera Fricke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut. Spezialgebiet der 31-Jährigen: Nachhaltigkeit in Unternehmen. „Unser Konsumverhalten hat heutzutage ganz andere Auswirkungen als noch vor 30 Jahren“, sagt sie. Die Welt sei stärker vernetzt, die Herstellung eines Produktes durchlaufe eine Vielzahl unterschiedlicher Länder. Dazu komme der Klimawandel. „Schon allein deshalb ist nachhaltiger Konsum brandaktuell“, sagt Schrader.