: Tanz, produziert in Brandenburg
FESTIVAL Auf einem früheren Militär- und Industriegelände an der Havel trifft die internationale Tanzszene auf lokale Künstler. Die Fabrik Potsdam setzt bei „Made in Potsdam“ auf ästhetische Vielfalt
Zum dritten Mal veranstaltet die Fabrik Potsdam das Festival Made in Potsdam. Vom 8. Januar bis 16. Februar wird getanzt, gespielt und musiziert, was in Potsdam und der Schiffbauergasse geschaffen wurde. Nicole Beutler zeigt in ihrer Deutschlandpremiere den Paartanz und seine lange Geschichte in geometrischen Formen. Inspiriert wurde die Choreografin von den Bühnenexperimenten des Bauhauskünstlers Oskar Schlemmer. Eine Uraufführung feiert die türkische Tanzkompanie Taldans, ursprünglich Elektrotechniker, Architekten und Tänzer, aus Istanbul. Exzentrisch kommt Eugénie Rebetez aus Zürich in ihrer One-Woman-Show daher. Im Fabrik Club legt der Potsdamer René Löwe, bekannt von der Berliner Techno-Institution Hard Wax, als DJ auf.
■ Made in Potsdam: Fabrik Potsdam, Schiffbauergasse 10, Potsdam, 8. 1. bis 16. 2., 12/10 €
VON MAREEN LEDEBUR
Ganz am Ende der modernen Schiffbauergasse mit ihren Theatern, Cafés und Ausstellungsgebäuden taucht die Fabrik Potsdam auf. An Wintertagen liegt sie fast unscheinbar neben der grauen Havel. Der Biergarten hat geschlossen. Was sich aber in der nördlichen Innenstadt Potsdams verbirgt, ist einmalig in Brandenburg: Ein internationales Zentrum für Tanz und Bewegungskunst. Hier begegnen sich Potsdamer Choreografen, internationale Profitänzer, Musiker, zeitgenössische Künstler und Amateurtänzer aus Brandenburg.
Der entscheidende Gedanke dieses Orts ist das Konzept eines künstlerischen Erfahrungsaustauschs, der Koproduktionen und der festen Strukturen für Tanz in Brandenburg. „Zentrale lokale Strukturen zu schaffen, ist wesentlich“, sagt Sven Till. Der künstlerische Leiter des Festivals „Made in Potsdam“ versteht die Fabrik als „Gesamterlebnisgelände mit kleinstädtischem Charme und Internationalität. Unser Schwerpunkt liegt auf den Produktionen aus dem Haus, welche mit der lokalen Szene verbunden werden sollen“, sagt Till. Denn in Brandenburg ist zeitgenössischer Tanz rar gesät, Tänzer und Choreografen in Potsdam kann man an zwei Händen abzählen. Auch an Fachpublikum fehlt es, das bleibt meistens in Berlin. Sven Till kritisiert, dass in den städtischen Theaterstrukturen, außer in Cottbus, kein Tanzensemble im Brandenburger Raum zu finden ist, und zeitgenössischer Tanz sich auch in Gastspielen sehr selten hierher verirrt.
Im internationalen zeitgenössischen Tanz findet die Fabrik jedoch große Beachtung. Mit dem Residenzprogramm „Artists in Residence“ können internationale Künstler ein bis vier Wochen in der Fabrik leben und arbeiten – acht Schlafzimmer gibt es. „Sie interagieren mit der Stadt, lassen etwas hier und nehmen etwas mit aus der Schiffbauergasse“, sagt Sven Till. Die Fabrik dient als Plattform für Unbekannte, als Rückzugsort und als Motor für die Brandenburger zeitgenössische Kunstszene. Enge Kooperationen hat die Fabrik Potsdam mit Frankreich, Kanada und Belgien. Dank Letzterer entstand der Kontakt zur türkischen Tanzkompanie Taldans, die bis zum 12. Januar in der Fabrik in Potsdam lebt und wirkt. Hier arbeitete die Gruppe am menschlichen Körper als Vermittler zwischen Wissenschaft und Gedächtnis, als erforschender Container, der speichert, um sich dann wieder für neue Aktionen zu öffnen. Wissenschaft und Gedächtnis stehen im Zentrum der aktuellen Arbeit von Mustafa Kaplan und Filiz Sizanli, die bei „Made in Potsdam“ die Uraufführung von „We need to move urgently“ zeigen.
Auf dem Areal der Schiffbauergasse hat die Fabrik Potsdam das Waschhaus als neuen Partner für „Made in Potsdam“ gewonnen. In dem Kunstraum beschäftigen sich Künstler, die in Potsdam leben oder arbeiten, mit Interventionen im Raum. Fragen nach der Erfahrung von Raum, seinen Grenzen und Möglichkeiten, stehen im Mittelpunkt. In Zeichnungen, Fotografien, Installationen und Grafiken werden die künstlerischen Strömungen der Stadt wiedergegeben.
Die Idee, Potsdamer und in der Umgebung lebende Künstler zu repräsentieren und ein breites Bildungsangebot für Tanz anzubieten, geht bis in die Anfänge der Fabrik zurück. Gegründet wurde sie 1990 von einer kleinen Gruppe von Tänzern, Künstlern und Musikern. Zu Beginn arbeitete man in einem besetzten Haus. Als dieses niederbrannte, bot die Stadt das Gelände in der Schiffbauergasse an. Die Miete wird aus EU-Mitteln finanziert, Fördermittel für die Fabrik kommen von Land und Stadt, der Rest aus dem Finanzausgleich oder zusätzlichen Förderungen für einzelne Stücke und Künstler. Heute arbeiten im Kernteam zehn Festangestellte, die Lehrer für Tanzkurse und studentische Aushilfen nicht mitgerechnet. Seit 2008 gehört ein zweites Gebäude, ein früherer Reitstall, mit mehreren Tanzstudios zur Fabrik Potsdam.
Früher wurde die Schiffbauergasse vor allem militärisch und industriell genutzt. Die alten Reit- und Pferdeställe gehörten dem preußischen Militär. Wilhelm III. ließ 1838 die Husarenkaserne bauen, deren Gebäude bis nach dem Zweiten Weltkrieg benutzt wurden. Die industrielle Revolution gab dem Ort seinen Namen: Unter königlicher Aufsicht baute der Engländer John Barnett Humphrey Dampfschiffe an der Havel.
Heute wird in der Schiffbauergasse erneut Pionierarbeit geleistet: Die Bildungsangebote der Fabrik sollen mehr Begeisterung für Tanz erzeugen. Im April beginnt ein Performanceprojekt für Frauen ab 40. Pro Woche finden 50 Kurse statt: so breit wie nur möglich, auch um Publikum anzuziehen. Wer sich zeitgenössisches Ballett, Trapez oder Swing nicht leisten kann, hat die Möglichkeit, sich auf eines der zehn Kursstipendien zu bewerben. Einzig Contact Improvisation wurde noch nicht gebucht.
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